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BFH Urteil GrS 1/06 – Aufteilung der Aufwendungen für eine gemischt veranlasste Reise


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cc) Eine Modifizierung der vom Großen Senat in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 entwickelten Maßstäbe vollzog sich mit dem BFH-Urteil vom 23. April 1992 IV R 27/91 (BFHE 168, 254, BStBl II 1992, 898): Danach steht dem Betriebsausgabenabzug der Kosten für die Teilnahme an einer beruflichen Fortbildungsveranstaltung nicht entgegen, dass dieser Veranstaltung ein Urlaubsaufenthalt an demselben Ort vorangeht; die Kosten der Reise zum Veranstaltungsort und zurück einschließlich Reisenebenkosten können in diesem Fall jedoch ebenso wie die Kosten des Urlaubsaufenthalts nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden (vgl. ferner BFH-Urteile vom 23. Januar 1997 IV R 39/96, BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357; vom 18. Mai 2005 VIII R 43/03, BFH/NV 2005, 2174).

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Des Weiteren führte der X. Senat im Urteil vom 26. November 1997 X R 146/94 (BFH/NV 1998, 961) aus, die für die einkommensteuerrechtliche Zuordnung einer Auslandsreise erforderliche Gesamtbeurteilung könne auch im Fall des zweiwöchigen Japanaufenthalts einer mehrköpfigen Familie für ein Familienmitglied einen unmittelbar betrieblichen Anlass (z.B. Abschluss eines wichtigen Vertrages) ergeben, der es ausnahmsweise erlaube, familiäre Aspekte und touristische Begleitumstände der Unternehmung insoweit in den Hintergrund treten zu lassen und den damit verbundenen Aufwand (hier An- und Abreisekosten) dieser Person anteilig als Betriebsausgaben anzuerkennen.

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Sodann änderte der VI. Senat mit Rücksicht auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Oktober 1999 Rs. C-55/98 (EuGHE I-1999, 7641 – Vestergaard) seine Rechtsprechung zu Sprachkursen im Ausland: Danach kann abweichend von der bisherigen Rechtsprechung bei einem Sprachkurs in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union nicht mehr typischerweise unterstellt werden, dass dieser wegen der jeder Auslandsreise innewohnenden touristischen Elemente eher Berührungspunkte zur privaten Lebensführung aufweist als ein Inlandssprachkurs (Urteil vom 13. Juni 2002 VI R 168/00, BFHE 199, 347, BStBl II 2003, 765 – Sprachkurs in Südfrankreich mit unterrichtsfreien Nachmittagen). Auch im Ãœbrigen fand in der Rechtsprechung des VI. Senats eine Akzentverschiebung statt. Danach ist nicht mehr erforderlich, dass die Verfolgung privater Interessen nahezu ausgeschlossen oder von ganz untergeordneter Bedeutung ist. Reisekosten sind vielmehr in der Regel schon dann vollständig abziehbar, wenn der Reise ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liegt und die Verfolgung privater Reiseinteressen nicht den Schwerpunkt der Reise bildet (BFH-Urteil vom 27. August 2002 VI R 22/01, BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369, m.w.N. – Teilnahme einer wissenschaftlichen Hilfskraft an einem Universitätsinstitut für Geographie an einer Exkursion in die USA „Nationalparks und Naturkunde des Wilden Westens“; vgl. auch BFH-Urteile vom 19. Dezember 2005 VI R 63/01, BFH/NV 2006, 728; VI R 88/02, BFH/NV 2006, 730; VI R 65/04, BFH/NV 2006, 1075; VI R 89/02, BFH/NV 2006, 934 – Sprachkurs in Andalusien im Mai; vom 22. Juni 2006 VI R 61/02, BFHE 213, 566, BStBl II 2006, 782; vom 11. Januar 2007 VI R 8/05, BFHE 216, 325, BStBl II 2007, 457; vom 22. Juli 2008 VI R 2/07, BFH/NV 2008, 1837 – Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer in Meran mit ganztägigen Exkursionen zum Monte Baldo und zur Seiser Alpe). Der Grundsatz, dass die Kosten der An- und Abreise nur einheitlich entweder ganz oder gar nicht abziehbar sind, blieb indes bisher unverändert.

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II. Auffassungen im Schrifttum

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Nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum lässt sich aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot ableiten (Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 12 Rz B 3 ff.; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, § 12 EStG Rz 67; Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 12 Rz 14 ff.; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 12 EStG Rz 97; Claßen in Lademann, EStG, § 12 EStG Rz 23 ff.; Blümich/Lindberg, § 12 EStG Rz 53; Kurzeja in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 12 Rz 130 ff.; Dürr in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 12 Rz 48; Rundshagen in Korn, § 12 EStG Rz 24; Birk, Steuerrecht, 12. Aufl., § 5 Rz 967 ff., 1019 ff.; Jakob, Einkommensteuer, 4. Aufl. 2008, Rz 219 ff.; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz 243 ff.; Tiedtke, Einkommensteuer- und Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 1995, 466; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, 769; Eisendick, Das Aufteilungs- und Abzugsverbot, Diss., Bochum 1993, Frankfurt a.M. u.a. 1995; Scheich, Das Abzugsgebot und -verbot gemischter Aufwendungen, München 1996; Ehlers, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1973, 269; Tipke, StuW 1979, 193, 203 ff.; Söhn, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft –DStJG– 3, 1980, 13, 51 ff.; Ruppe, DStJG 3, 1980, 103, 139 ff.; Gorski, Deutsche Steuer-Zeitung 1981, 111, 113; Wassermeyer, StuW 1981, 245; Kottke, DStR 1992, 129; Kruse, Festschrift für Klaus Offerhaus, Köln 1999, 491, 496; Wissenschaftlicher Beirat der Ernst & Young AG, BB 2004, 1024, 1028 ff.; Strahl, Kölner Steuerdialog –KÖSDI– 2004, 14019; Offerhaus, DStR 2005, 446; Weber, StuW 2009, 184, 194).

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Der bisherigen Rechtsprechung zum Aufteilungs- und Abzugsverbot folgen hingegen Görlich, Der Betrieb 1979, 711, 713; D’Avis in Dankmeyer/Giloy, Einkommensteuer, § 12 Rz 26; Völlmeke, DStR 1995, 745; Crezelius, Steuerrecht II, Die einzelnen Steuerarten, 2. Aufl., § 9 Rz 4; von Sicherer, Einkommensteuer, 1998, 72; Seiler in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 12 Rz 3.

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III. Auffassung des Großen Senats

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Der Große Senat folgt im Grundsatz der Auffassung des vorlegenden Senats. Aufwendungen für die Hin- und Rückreise bei gemischt beruflich (betrieblich) und privat veranlassten Reisen können grundsätzlich in abziehbare Werbungskosten oder Betriebsausgaben und nicht abziehbare Aufwendungen für die private Lebensführung nach Maßgabe der beruflich und privat veranlassten Zeitanteile der Reise aufgeteilt werden, wenn die beruflich veranlassten Zeitanteile feststehen und nicht von untergeordneter Bedeutung sind. Das unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es jedoch im Einzelfall erfordern, einen anderen Aufteilungsmaßstab heranzuziehen oder ganz von einer Aufteilung abzusehen.



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