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Ermittlungspflichten des FA vor einer öffentlichen Zustellung wegen "unbekannten Aufenthaltsorts" (BFH X R 54/06)


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Zur Begründung seiner Revision trägt das FA vor, das FG verneine zu Unrecht, dass der Aufenthaltsort des Klägers im Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung „unbekannt“ i.S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) des Bundes in der im Jahr 2003 anzuwendenden Fassung gewesen sei. Der Kläger habe den deutschen Meldebehörden nur die Anschrift in M, nicht aber den Umzug nach P bekannt gemacht. Er habe nach seinem Wegzug mit dem Zugang von Steuerbescheiden rechnen müssen. Das Verhalten des Klägers führe dazu, dass das FA, nachdem es davon habe ausgehen müssen, der Kläger wohne nicht mehr in M und vergeblich versucht habe, aus inländischen Quellen eine neue Anschrift zu ermitteln, zu keinen weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen sei. Es habe insbesondere entgegen der Auffassung des FG vor der öffentlichen Zustellung weder die Anschrift der zuständigen Meldebehörde in M ausfindig machen, noch die Anfrage ins Spanische übersetzen und dorthin senden, noch prüfen müssen, ob für eine solche Anfrage überhaupt eine Rechtsgrundlage bestanden habe. Die Argumentation des FG sei außerdem unschlüssig. Es habe eine Pflicht des FA bejaht, bei den Meldebehörden in M zu recherchieren, selbst aber nicht einmal festgestellt, ob sich der Kläger in M an- und wieder abgemeldet habe, sondern dies nur als „nahe liegend“ angesehen. Es stehe im Streitfall lediglich fest, dass der Kläger den deutschen Meldebehörden die Anschrift in M mitgeteilt und sich bei den Behörden in P angemeldet habe.


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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

II.
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Die Revision des FA ist zulässig.

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1. Der vom FA im Revisionsverfahren gestellte Antrag, das FG-Urteil vollständig aufzuheben, richtet sich gegen alle darin enthaltenen Streitgegenstände. Das FA ist im Streitfall materiell auch beschwert, soweit das FG das Feststellungsbegehren unter Nr. 3 des Klageantrags abgewiesen hat.

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a) Der Bundesfinanzhof (BFH) kann bei mehreren Streitgegenständen in einem angefochtenen FG-Urteil über die Revision zu einzelnen Streitgegenständen (hier die Anträge unter Nr. 1 bis 3 des Klageantrags) nur entscheiden, wenn sich die Revisionsrügen gesondert auf die einzelnen Streitgegenstände beziehen und das Revisionsbegehren für jeden Streitgegenstand zulässig ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892).

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b) Das FA hat in der Revision beantragt, das FG-Urteil insgesamt aufzuheben und die Klage abzuweisen, obwohl es hinsichtlich der Feststellung unter Nr. 3 des Klageantrags vor dem FG obsiegt hat. Die Revision des FA ist jedoch auch insoweit zulässig, da es trotz der Klageabweisung durch das FG-Urteil materiell beschwert ist (vgl. zu der erforderlichen materiellen Beschwer des FA z.B. das Senatsurteil vom 29. April 2009 X R 16/06, BFHE 225, 4, BStBl II 2009, 732; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 115 Rz 12 und 14, m.w.N.).

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Die materielle Beschwer des FA besteht hier darin, dass das FG den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aufgrund des angenommenen Bekanntgabezeitpunkts Ende April 2004 nicht als bestandskräftig angesehen hat. Das FA kann seine abweichende Rechtsauffassung, der Bescheid sei schon im Wege der öffentlichen Zustellung im Juni 2003 bekanntgegeben und aufgrund des verfristeten Einspruchs bestandskräftig geworden, nur durchsetzen, wenn das FG-Urteil in der Revision hinsichtlich aller Streitgegenstände aufgehoben wird.

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aa) Bestehen Zweifel am Zugang eines Steuerbescheids und gibt die Behörde daraufhin nochmals (zur Heilung) einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt bekannt oder übermittelt sie eine Bescheidkopie, so tritt nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Bekanntgabe gemäß Â§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO jedenfalls mit dem Zugang des wiederholenden Bescheids oder der Kopie ein, wenn die Bekanntgabe zuvor nicht wirksam war (vgl. Senatsbeschluss vom 7. November 2008 X B 55/08, BFH/NV 2009, 195; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 11; Güroff in Beermann/Gosch, AO § 124 Rz 7). Das FG hat sich im Streitfall auf diese Rechtsprechung gestützt und ist von der Bekanntgabe des Bescheids erst Ende April 2004 ausgegangen. Käme der erkennende Senat in der Revision zu dem Ergebnis, der Steuerbescheid des Streitjahres sei bereits im Juni 2003 aufgrund der öffentlichen Zustellung wirksam bekanntgegeben worden, käme es auf den Zugang des wiederholenden Steuerbescheids durch Ãœbermittlung der Bescheidkopie im Streitfall nicht mehr an. Maßgeblich wäre dann für alle Folgefragen (Festsetzungsverjährung, Verzinsung und Beginn der Einspruchsfrist) nur der frühere Bekanntgabezeitpunkt (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 124 AO Rz 11). Im Streitfall schließen sich demnach die möglichen Bekanntgabezeitpunkte wechselseitig aus, d.h. der unter dem 6. Mai 2003 erlassene Einkommensteuerbescheid des Streitjahres ist dem Kläger entweder im Wege der öffentlichen Zustellung im Juni 2003 oder erst Ende April 2004 durch Ãœbermittlung der Bescheidkopie bekanntgegeben worden (vgl. hierzu den Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 X B 3/04, BFH/NV 2005, 496).

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bb) Könnte das FA das FG-Urteil mangels Beschwer hinsichtlich der Feststellung laut Ziffer Nr. 3 des Klageantrags nicht anfechten, wäre das FG-Urteil insoweit rechtskräftig und bindend für die Beteiligten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FA müsste dann gegen sich gelten lassen, dass der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres unter dem 6. Mai 2003 erst mit Zugang der Bescheidkopie Ende April 2004 wirksam bekanntgegeben worden ist. Hierdurch wäre gleichsam für das vorliegende Verfahren für die Streitgegenstände unter Nr. 1 und 2 des Klageantrags bindend entschieden, dass vom späteren Bekanntgabezeitpunkt auszugehen wäre. Somit kann das FA das FG-Urteil auch hinsichtlich der Feststellung unter Nr. 3 des Klageantrags mit der Revision angreifen, obwohl es vor dem FG in diesem Punkt obsiegt hat.

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2. Die Revision des FA ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO), soweit sie sich gegen die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung richtet. Der Einspruch des Klägers ist nicht verfristet, weil die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr unwirksam war und dieser erst Ende April 2004 bekanntgegeben worden ist.


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