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Anspruch auf Kindergeld für ein arbeitsloses, behindertes Kind (BFH III R 50/07)


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Anspruch auf Kindergeld für ein arbeitsloses, behindertes Kind nur, wenn die Behinderung in erheblichem Umfang mitursächlich für die Arbeitslosigkeit ist oder wenn die von ihm erzielbaren Einkünfte nicht den gesamten Lebensbedarf decken könnten

1. Für ein arbeitsloses, behindertes Kind besteht ein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, wenn die Behinderung in erheblichem Umfang mitursächlich dafür ist, dass es keine Arbeit findet und deshalb außerstande ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Entscheidung, ob eine erhebliche Mitursächlichkeit gegeben ist, hat das FG unter Würdigung der Umstände des einzelnen Falles zu treffen (Bestätigung des Senatsurteils vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BFH/NV 2009, 638).


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2. Ist keine erhebliche Mitursächlichkeit anzunehmen, besteht ein Anspruch auf Kindergeld auch dann, wenn die Einkünfte, die das Kind aus einer –trotz der Behinderung möglichen– Erwerbstätigkeit erzielen könnte, nicht ausreichen würden, seinen gesamten Lebensbedarf (existenziellen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf) zu decken.

EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
Urteil vom 22. Oktober 2009 III R 50/07
Vorinstanz: FG Köln vom 16. Februar 2006 2 K 2675/04

Gründe

I.
1
Die im Jahr 1978 geborene Tochter (T) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ist seit 1986 zu 50 % schwerbehindert. Nach dem Besuch des Wirtschaftsgymnasiums und nach einem Berufspraktikum wurde sie an der Berufsfachschule für Technik zur staatlich geprüften Gestaltungstechnischen Assistentin ausgebildet. Seit dem 28. Juni 2001 war T bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder andere finanzielle Leistungen erhielt sie nicht. Seit Februar 2003 ist T verheiratet.

2
Im Oktober 2001 beantragte der Kläger unter Vorlage des Schwerbehindertenausweises von T Kindergeld für den Zeitraum 1. September 2001 bis 31. Dezember 2003. T sei seit Juli 2001 arbeitslos und habe weder Einkünfte noch Bezüge.

3
Nachdem die um Stellungnahme gebetene Reha/SB-Stelle nach amtsärztlicher Begutachtung zu der Einschätzung gekommen war, T sei in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben, lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) den Kindergeldantrag mit Bescheid vom 6. Dezember 2003 ab. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

4
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es war der Auffassung, die körperliche Behinderung von T führe nicht dazu, dass sie sich nicht selbst unterhalten könne. Nach dem –im finanzgerichtlichen Verfahren eingeholten– amtsärztlichen Gutachten seien die der Behinderung zugrunde liegenden Erkrankungen problemlos zu behandeln. T habe erfolgreich das Wirtschaftsgymnasium besucht und anschließend in Vollzeit ein Praktikum und die Ausbildung an der Berufsfachschule absolviert. Daraus habe die Sachverständige zutreffend gefolgert, dass T trotz ihrer Behinderung wenigstens einer Tätigkeit von 20 Stunden in der Woche hätte nachgehen können. Bei einer entsprechenden Berufstätigkeit hätte T mit dem Verdienst ihren gesamten notwendigen Lebensunterhalt decken können. Außerdem sei der Kläger seit der Heirat von T im Februar 2003 ihr gegenüber nicht mehr unterhaltspflichtig, so dass dem Kläger schon aus diesem Grund ab Februar 2003 kein Kindergeld für T mehr zu gewähren sei.

5
Mit seiner Revision trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Annahme des FG, T könne sich selbst unterhalten, beruhe auf mangelnder Sachaufklärung. Aufgrund ihrer Schwerbehinderung mit einem Grad von 50 wegen insulinpflichtiger Diabetes mit beginnender Nierenschädigung und Bluthochdruck, zu der eine starke Fehlsichtigkeit hinzukomme, könne T keine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts ausüben. Trotz intensiver Bemühungen und Inanspruchnahme der Bundesagentur für Arbeit habe sie keine entgeltliche Tätigkeit gefunden. Auch habe das FG nur pauschal ausgeführt, eine 20-stündige Tätigkeit könne den gesamten Lebensbedarf decken. Es hätte Beweis darüber erheben müssen, wie hoch der Lebensbedarf von T gewesen und welcher Verdienst objektiv zu erwarten gewesen sei. Ferner hätte das FG klären müssen, ob es den Vorgaben entsprechende Arbeitsplätze gegeben hätte und ob T einen solchen Arbeitplatz auch mit ihrer Behinderung bekommen hätte.

6
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid vom 6. Dezember 2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 15. April 2004 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für die Monate September 2001 bis Dezember 2003 Kindergeld für T festzusetzen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
7
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.
8
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

9
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht für ein volljähriges Kind unter weiteren –hier nicht streitigen– Voraussetzungen ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

10
a) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BFH/NV 2009, 638, unter II.1.a, m.w.N.) ist ein behindertes Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen gesamten notwendigen Lebensunterhalt nicht mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln bestreiten kann. Der existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf), der sich an dem maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG orientiert, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen.


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