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BFH wendet nahezu unverständliche Regelung zur Mindestbesteuerung nach erfolgloser Vorlage an das BVerfG an



Urteil vom 09.03.11 BFH IX R 72/04
Urteil vom 09.03.11 BFH IX R 56/05
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Revisionsverfahren über die Auslegung einer Norm zur sog. Mindestbesteuerung entschieden, die er ursprünglich als unverständlich beurteilt und deshalb wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt hatte. Das BVerfG hat den Vorlagebeschluss des BFH als unzulässig verworfen (Beschluss vom 12. Oktober 2010 2 BvL 59/06), so dass der BFH nun zur Anwendung der Vorschrift verpflichtet war.


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Mit der ab 1. Januar 1999 anzuwendenden und Ende 2003 wieder ersatzlos gestrichenen Regelung in § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG) hatte der Gesetzgeber eine „quellenbezogene Mindestbesteuerung“ schaffen wollen. Die sprachlich nahezu unverständliche und verfassungsrechtlich heftig umstrittene Vorschrift hatte in der Fachwelt massive Kritik auf sich gezogen. Vor diesem Hintergrund hat der XI. Senat des BFH mit Beschluss vom 6. September 2006 XI R 26/04 eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die Norm wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) verfassungswidrig ist.

Nach Zurückweisung des Vorlagebeschlusses durch das BVerfG hatte der inzwischen zuständige IX. Senat in dem – wegen des Vorlagebeschlusses des XI. Senats vorübergehend ausgesetzten – Verfahren IX R 72/04 die Frage zu entscheiden, ob im Rahmen des Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG angewendet werden darf. Die Kläger – zusammen veranlagte Ehegatten – hatten 1999 Verluste erzielt, die nach § 10d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 5 EStG in das Vorjahr zurückzutragen waren. Das Finanzamt hatte die aus 1999 stammenden Verluste nur zum Teil mit positiven Einkünften der Kläger aus dem Jahr 1998 verrechnet, da es die Auffassung vertrat, die Höhe der 1998 zu berücksichtigenden Verluste sei unter entsprechender – und damit rückwirkender – Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG zu ermitteln. hiergegen wandten sich die Kläger, die einen Verlustrücktrag in voller Höhe begehrten.

Der BFH gab den Klägern in vollem Umfang recht. Denn nach den maßgeblichen Anwendungsbestimmungen des § 52 Abs. 1 und Abs. 25 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG sei bei einem nach § 10d EStG zu beurteilenden Rücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in das Jahr 1998 § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG nicht anzuwenden.

In dem – ebenfalls vorübergehend ausgesetzten – Verfahren IX R 56/05 war die Frage zu entscheiden, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG lediglich auf eine eingeschränkte Verrechnung solcher negativer Einkünfte, die nicht wirtschaftlich erzielt werden (sog. „unechte“ Verluste), zielt oder ob unter den Wortlaut der Norm auch solche Verluste fallen, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt werden (sog. „echte“ Verluste). Die Kläger – zusammen veranlagte Ehegatten – hatten im Jahr 1997 eine GmbH & Co. KG gegründet, die in der Anlaufphase ihrer Tätigkeit ausschließlich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielte. Das Finanzamt ließ von dem einheitlich und gesondert festgestellten Gewerbeverlust lediglich einen nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG ermittelten Teilbetrag zum Verlustausgleich mit anderen positiven Einkünften der Kläger zu. Hiergegen wandten sich die Kläger, die den Ausgleich aller Verluste begehrten. Sie trugen vor, dass ihnen durch die teilweise Nichtberücksichtigung der gewerblichen Verluste nicht einmal das Existenzminimum verbleibe.

Der BFH gab auch in diesem Verfahren den Klägern in vollem Umfang Recht. § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG bedürfe der Auslegung, da der Wortlaut der Norm für sich genommen keinen eindeutigen Sinn ergebe. Die Regelung sei wirtschaftlich zu verstehen und unter Berücksichtigung des Normzwecks, der verfassungsrechtlichen Grenzen des Besteuerungseingriffs sowie des gesetzgeberischen Willens dahin auszulegen, dass die mit ihr verbundene Einschränkung der Verlustverrechnung nur sog. „unechte“ Verluste betreffe: Dabei zählten negative Einkünfte jedenfalls insoweit zu den „unechten“ Verlusten, als sie auf die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zurückzuführen seien. Demgegenüber könnten tatsächlich wirtschaftlich erzielte „echte“ Verluste – wie die von den Klägern erzielten negativen gewerblichen Einkünfte – bei der Bildung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG in vollem Umfang horizontal und vertikal ausgeglichen werden.

Bundesfinanzhof
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