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Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt


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Urteil vom 2. März 2010
– 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 –
Konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß


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Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen §§ 113a, 113b TKG und
gegen § 100g StPO, soweit dieser die Erhebung von nach § 113a TKG
gespeicherten Daten zulässt. Eingeführt wurden die Vorschriften durch
das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.
Dezember 2007.

§ 113a TKG regelt, dass öffentlich zugängliche
Telekommunikationsdiensteanbieter verpflichtet sind, praktisch sämtliche
Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax, SMS, MMS),
E Mail Diensten und Internetdiensten vorsorglich anlasslos zu speichern.
Die Speicherungspflicht erstreckt sich im Wesentlichen auf alle Angaben,
die erforderlich sind, um zu rekonstruieren, wer wann wie lange mit wem
von wo aus kommuniziert hat oder zu kommunizieren versucht hat. Nicht zu
speichern ist demgegenüber der Inhalt der Kommunikation, und damit auch,
welche Internetseiten von den Nutzern aufgerufen werden. Nach Ablauf der
Speicherungspflicht von sechs Monaten sind die Daten innerhalb eines
Monats zu löschen.

§ 113b TKG regelt die möglichen Zwecke, für die diese Daten verwendet
werden dürfen. Die Vorschrift versteht sich dabei als Scharniernorm: Sie
enthält selbst keine Ermächtigung zur Datenabfrage, sondern bezeichnet
nur grobmaschig allgemein mögliche Nutzungszwecke, die durch
fachrechtliche Regelungen des Bundes und der Länder konkretisiert werden
sollen. In Satz 1 Halbsatz 1 werden dabei die möglichen Zwecke der
unmittelbaren Nutzung der Daten aufgelistet: Die Verfolgung von
Straftaten, die Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und die Erfüllung von nachrichtendienstlichen Aufgaben.
Halbsatz 2 erlaubt darüber hinaus die mittelbare Nutzung der Daten für
Auskünfte nach § 113 Abs. 1 TKG in Form eines Auskunftsanspruchs
gegenüber den Diensteanbietern zur Identifizierung von IP Adressen.
Behörden können danach, wenn sie etwa durch Anzeige oder durch eigene
Ermittlungen eine IP Adresse schon kennen, Auskunft verlangen, welchem
Anschlussnehmer diese Adresse zugeordnet war. Der Gesetzgeber erlaubt
dies unabhängig von näher begrenzenden Maßgaben zur Verfolgung von
Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie zur Gefahrenabwehr; ein
Richtervorbehalt ist insoweit ebenso wenig vorgesehen wie
Benachrichtigungspflichten.

§ 100g StPO regelt – in Konkretisierung des § 113b Satz 1 Halbsatz 1
Nr. 1 TKG – die unmittelbare Verwendung der vorsorglich gespeicherten
Daten für die Strafverfolgung. Insgesamt betrachtet ist die Vorschrift
dabei weiter und regelt den Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten
überhaupt. Sie erlaubt also auch und ursprünglich nur den Zugriff auf
Verbindungsdaten, die aus anderen Gründen (etwa zur Geschäftsabwicklung)
bei den Diensteanbietern gespeichert sind. Der Gesetzgeber hat sich
entschieden, insoweit nicht zwischen der Nutzung der nach § 113a TKG
vorsorglich gespeicherten Daten und anderer Verkehrsdaten zu
unterscheiden. Er erlaubt die Nutzung auch der Vorratsdaten unabhängig
von einem abschließenden Straftatenkatalog für die Verfolgung von
Straftaten mit erheblicher Bedeutung sowie darüber hinaus nach Maßgabe
einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung auch allgemein zur
Verfolgung von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen
wurden. Erforderlich ist eine vorherige richterliche Entscheidung; auch
kennt die Strafprozessordnung insoweit Benachrichtigungspflichten und
nachträglichen Rechtsschutz.

Die angegriffenen Vorschriften verstehen sich als Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die
Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahre 2006. Nach dieser Richtlinie sind
Anbieter von Telekommunikationsdiensten dazu zu verpflichten, die in §
113a TKG erfassten Daten für mindestens sechs Monate und höchstens zwei
Jahre zu speichern und für die Verfolgung von schweren Straftaten
bereitzuhalten. Keine näheren Regelungen enthält die Richtlinie zur
Verwendung der Daten; auch die Maßnahmen zum Datenschutz werden im
Wesentlichen den Mitgliedstaaten überlassen.

Aufgrund der einstweiligen Anordnungen des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts (Pressemitteilungen Nr. 37/2008 vom 19. März
2008 und Nr. 92/2008 vom 6. November 2008) durften die nach § 113a TKG
gespeicherten Daten zu Strafverfolgungszwecken nach § 113b Satz 1 Nr. 1
TKG zunächst nur gemäß den in der einstweiligen Anordnung vorgesehenen
Maßgaben und die nach § 113a TKG auf Vorrat gespeicherten Daten für die
Gefahrenabwehr (§ 113b Satz 1 Nr. 2 TKG) von den
Telekommunikationsdiensteanbietern nur unter einschränkenden Bedingungen
an die ersuchende Behörde übermittelt werden.

Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem
das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller
Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig. Insbesondere
machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten
Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen ließen. Eine
Beschwerdeführerin, die einen Internetanonymisierungsdienst anbietet,
rügt, die mit der Speicherung verbundenen Kosten beeinträchtigten die
Anbieter von Telekommunikationsdiensten unverhältnismäßig in ihrer
Berufsfreiheit.


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