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Verfassungsmäßigkeit der ab 2005 geltenden Altersrentenbesteuerung (BFH X R 53/08)


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Im System einer modernen Volkswirtschaft, die notwendig eine Geldwirtschaft ist, stellt das Nominalwertprinzip ein tragendes Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung und Wirtschaftspolitik dar (BVerfG-Beschluss vom 19. Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76, BVerfGE 50, 57, m.w.N.). Eine Indexbindung in Steuergesetzen wie auch in anderen Gesetzen wird vom BVerfG grundsätzlich als währungspolitisch bedenklich und unerwünscht angesehen. Eine Indexierung im Steuerrecht sei insbesondere mit der Gefahr verbunden, dass die Indexklausel auf andere Rechtsgebiete übergreifen und die Inflationsbekämpfung erschweren könnte (BVerfG-Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1989 2 BvR 436/88, Der Betrieb –DB– 1990, 969).

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bb) Innerhalb der Ertragsteuersenate des BFH besteht ebenfalls Einigkeit darüber, dass dem EStG das Nominalwertprinzip zugrunde liegt (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572; vom 27. Juni 1996 VIII B 102/95, BFH/NV 1996, 921, m.w.N.; vom 1. März 2001 IV R 90/99, BFH/NV 2001, 904; vom 12. November 2007 IV B 36/07, BFH/NV 2008, 766; in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710; vom 11. Dezember 2008 VI R 9/05, BFHE 224, 70, BStBl II 2009, 385).

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Auch nach Auffassung des Schrifttums stellt das Nominalwertprinzip jedenfalls solange im Interesse der Rechtssicherheit und der Abstimmung des Einkommensteuerrechts auf das übrige Wirtschaftsrecht eine vertretbare Typisierung dar, solange die Ergebnisse nicht schlechthin unerträglich sind (so Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz A 500). Das Festhalten am Nominalwertprinzip lasse sich auch aus Praktikabilitätsgründen aufgrund der komplizierten Inflationsbereinigung rechtfertigen; Voraussetzung sei aber, dass die Inflationsrate niedrig sei (Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., S. 515).

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cc) Demgemäß sind die Sachverständigenkommission (a.a.O., S. 51) und ihr folgend der Gesetzgeber bei der rechnerischen Ãœberprüfung, ob eine „doppelte Besteuerung“ vorliegt, entsprechend der steuerlichen Grundsystematik vom Nominalwertprinzip ausgegangen und haben keine Barwertrechnung vorgenommen (BTDrucks 15/2150, S. 23). Auch der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat in seiner Stellungnahme anlässlich der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 28. Januar 2004 an die Berechnungen der Sachverständigenkommission angeknüpft und damit ebenfalls die Anwendbarkeit des Nominalwertprinzips bei der vorzunehmenden Vergleichsrechnung zur Ermittlung einer Doppelbesteuerung bejaht.

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Es ist vor dem Hintergrund der Inflationsentwicklung der letzten Jahrzehnte hinnehmbar, dass bei Anwendung des Nominalwertprinzips alle Wertsteigerungen der Renten –unabhängig davon, ob inflationsbedingt oder rentenpolitisch bedingt– besteuert werden können (so auch Kulosa in Herrmann/Heuer/ Raupach –HHR–, § 10 EStG Rz 341). Es besteht insofern kein Unterschied zur Besteuerung des in dem in der Gesetzesbegründung des AltEinkG (BTDrucks 15/2150, S. 23) genannten Beispiels eines Zerobonds.

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dd) Das vom Kläger genannte Beispiel, nach dem bei der Berechnung des fiktiven Anspruchs auf Zugewinnausgleich nach § 5 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) die Anfangsvermögen und die diesen hinzuzurechnenden späteren Erwerbe zum Ausgleich der Geldentwertung nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu indexieren sind (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 2007 II R 39/05, BFHE 217, 248, BStBl II 2007, 783), zeigt einen Ausnahmefall von der Geltung des Nominalwertprinzips im Ertragsteuerrecht auf, der aber den geltenden Grundsatz nicht in Frage stellt. Mit der Indexierung in § 5 ErbStG wird eine Angleichung der erbschaftsteuerrechtlichen Behandlung von erbrechtlicher und güterrechtlicher Lösung bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten erreicht. Diese Angleichung setze, so der BFH in BFHE 217, 248, BStBl II 2007, 783, voraus, dass der fiktive Zugewinnausgleichsanspruch nach denselben zivilrechtlichen Grundsätzen berechnet werde wie ein tatsächlich geltend gemachter. Für die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften über die Berechnung des Zugewinnausgleichs sei dabei vorrangig die Rechtsprechung des BGH als des für das Familienrecht zuständigen obersten Gerichtshofs des Bundes maßgebend. Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung der Geldentwertung bei der Berechnung des Anspruchs auf Zugewinnausgleich verstoße nicht gegen das Nennwertprinzip, es gehe im vorliegenden Zusammenhang um den Vergleich von zeitlich auseinanderliegenden Vermögenslagen und die dem Sinn der Zugewinngemeinschaft entsprechende Berücksichtigung der Geldentwertung zwischen den Bewertungszeitpunkten (BFH-Urteil in BFHE 217, 248, BStBl II 2007, 783).

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Ebenso wenig können die beiden anderen vom Kläger genannten Beispiele eine mögliche Abkehr des Ertragsteuerrechts vom Nominalwertprinzip begründen. Das Abzinsungsgebot bei der Bilanzierung von unverzinslichen Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Monaten sowie das der Vereinfachung dienende Lifo-Verfahren (Schmidt/Glanegger, EStG, 28. Aufl., § 6 Rz 8) stellen lediglich Ausnahmen dar, die aber nicht die generelle Geltung des Nominalwertprinzips außer Kraft setzen. Der Kläger weist zwar darauf hin, dass in der Literatur vereinzelt auf der Grundlage des Barwertprinzips die Zinsbereinigung des Einkommens verlangt werde (siehe Schmidt/ Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 82), dabei handelt es sich aber lediglich um einen geforderten künftigen Rechtszustand und nicht um geltendes Recht.

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c) Da bei dem Kläger aufgrund des anzuwendenden Nominalwertgrundsatzes keine Doppelbesteuerung eingetreten ist und auch unter keinen Voraussetzungen eintreten wird, muss im Streitfall weder die Frage entschieden werden, wie im Einzelnen die Doppelbesteuerung zu ermitteln ist (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.c), noch beurteilt werden, ob der Gesetzgeber den Auftrag des BVerfG, „in jedem Fall“ die Doppelbesteuerung zu vermeiden, in zutreffender Weise umgesetzt hat.

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III. Das FG hat zu Unrecht bei der Besteuerung der Renteneinkünfte des Klägers die Öffnungsklausel gemäß Â§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG nicht angewandt und die teilweise Anwendung der Ertragsanteilsbesteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 3 und 4 EStG abgelehnt.

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1. Nach der sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG unterliegen auf Antrag auch Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG der Besteuerung mit dem Ertragsanteil, soweit die Leibrenten auf bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Betrag des Höchstbeitrags mindestens zehn Jahre überschritten wurde (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 2. Halbsatz EStG).



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