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Verfassungsmäßigkeit der ab 2005 geltenden Altersrentenbesteuerung (BFH X R 53/08)


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bb) Der erkennende Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob dieser Auffassung allgemein zu folgen ist (so auch BFH-Urteile vom 29. April 2008 I R 103/01, BFHE 221, 121, BStBl II 2008, 723, und vom 26. November 2008 I R 56/06, BFH/NV 2009, 1241, m.w.N.), da die Änderung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG auch einer einzelfallbezogenen Abwägung der wechselseitigen Interessen standhält.

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Die vom Gesetzgeber im Rahmen des AltEinkG zu beachtenden Grenzen ergeben sich aus der Abwägung zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Einzelnen einerseits (insbesondere Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits.

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aaa) Der Kläger hat mehrere Jahrzehnte –zum größten Teil als freiwilliges Mitglied– erhebliche Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt. Zwar begründet auch ein in umfangreichen Dispositionen betätigtes besonderes Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts grundsätzlich noch keinen abwägungsresistenten Vertrauensschutz (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 105, 17). Im vorliegenden Fall ist aber zu berücksichtigen, dass die von dem Kläger geleisteten Rentenversicherungsbeiträge wichtige Bausteine seiner Altersversorgung waren und der verschärfte Steuerzugriff ihn bereits als Rentenempfänger getroffen hat, sodass er keine Möglichkeit hatte, die Einbuße an Nettoeinkommen durch anderweitige Vermögensdispositionen auszugleichen oder der negativen steuerlichen Entwicklung auszuweichen.

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Versorgungsempfänger und Rentner haben nach der Rechtsprechung des BVerfG in der Regel schon deshalb ein hohes Interesse an der Beständigkeit der Rechtslage, weil gerade ältere Menschen leicht in eine Lage geraten können, die sie nur schwer oder überhaupt nicht aus eigener Kraft zu bewältigen vermögen. Je größer die insoweit bestehenden Gefahren sind, desto schutzwürdiger ist das betroffene Vertrauen und desto weniger darf es enttäuscht werden (BVerfG-Beschluss vom 30. September 1987 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256, 349 zu den Kürzungen der Versorgungsbezüge durch die Anrechnung der Renten durch Art. 2 § 1 Nr. 7 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes –2.HStruktG– vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1981, 1523). Wenn diese Aussagen auch zum Beamtenversorgungs- und Sozialversicherungsrecht gemacht wurden, haben diese Grundsätze auch für das Steuerrecht Gültigkeit.

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bbb) Auf der anderen Seite muss der Gesetzgeber gerade auch bei notwendigerweise langfristig angelegten Alterssicherungssystemen die Möglichkeit haben, aus Gründen des Allgemeinwohls an früheren Entscheidungen nicht mehr festzuhalten und Neuregelungen zu treffen, die den gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie den damit verbundenen wechselnden Interessenlagen Rechnung tragen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 76, 256, 348). Dasselbe muss ebenso für die Besteuerung der Altersbezüge gelten. Der Bürger kann nicht darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber Steuervergünstigungen, die er bisher mit Rücksicht auf bestimmte Tatsachen oder Umstände gewährt hat, uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhält (BVerfG-Entscheidungen vom 7. Juli 1964 2 BvL 22, 23/63, BVerfGE 18, 135, 144; in BVerfGE 105, 17, 40). Dies gilt auch für die Aufhebung von „Freiräumen“ und die Erhebung zusätzlicher Steuern (BVerfG-Beschlüsse vom 8. März 1983 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312, 331; vom 28. November 1984 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287, 307). Ein uneingeschränkter Schutz des Steuerpflichtigen in sein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage würde den dem Gesamtwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen gegenüber Einzelinteressen lähmen (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 63, 312, 331; in BVerfGE 76, 256, 348).

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ccc) Das Ziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des AltEinkG war, eine „steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen zu erreichen“ (BTDrucks 15/2150, S. 1 und 22). Die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte hat eine so hohe Bedeutung für das Gemeinwohl, dass das Interesse des Klägers an der fortbestehenden Ertragsanteilsbesteuerung seiner Renteneinkünfte dahinter zurücktreten muss.

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(1) Der Gesetzgeber war verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2005 eine verfassungskonforme Neuregelung zur Besteuerung der Alterseinkünfte zu treffen, da ansonsten § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. wegen der Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz nicht weiter anwendbar gewesen wäre. Als tragendes Element der grundlegenden Neuordnung der steuerlichen Behandlung aller Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünfte wurde bei den Renten der Basisversorgung die sog. nachgelagerte Besteuerung eingeführt mit dem steuerlichen Abzug der Altersvorsorgebeiträge bei aktiv Erwerbstätigen und der vollen Besteuerung der Renteneinkünfte (BTDrucks 15/2150, S. 1 und 22). Für die Ãœbergangsphase wurde im Rahmen der Ãœbergangsregelung berücksichtigt, dass ein Teil der Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet wurde und aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Vollversteuerung der daraus resultierenden Renten nicht zulässig war. Hierdurch sollte „im Zusammenwirken mit der Regelung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b EStG eine aus verfassungsrechtlichen und haushaltswirtschaftlichen Gründen erforderliche schrittweise steuerrechtliche Gleichbehandlung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und Beamtenpensionen andererseits und eine ausgewogene Besteuerung im Verhältnis zu den übrigen Steuerpflichtigen, insbesondere den Erwerbstätigen“ erreicht werden (BTDrucks 15/2150, S. 40).

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(2) Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen bzw. Mindereinnahmen zu vermeiden, ist kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger regelmäßig überwindendes Gemeinwohlinteresse, weil dieses Ziel durch jedes, auch durch sprunghaftes und willkürliches Besteuern erreicht würde. Das Interesse des Staates, durch die Änderung von Steuergesetzen unerwartete Mindereinnahmen auszugleichen oder bestimmte Lenkungseffekte des Steuerrechts zu korrigieren, ist hingegen ein wichtiger Gemeinwohlbelang (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 105, 17). Das muss auch im vorliegenden Fall gelten, in dem das Ziel des Gesetzgebers nicht die Einnahmenvermehrung ist, sondern eine verfassungskonforme Ausgestaltung der steuerlichen Berücksichtigung der Altersvorsorge und Alterseinkünfte, ohne durch die damit verbundenen Mindereinnahmen die öffentlichen Haushalte zu gefährden (BTDrucks 15/2150, S. 40). Das BVerfG selbst hat in seinem Urteil in BVerfGE 105, 73, 135 ausdrücklich gefordert, dass sich der Gesetzgeber bei der Ãœbergangsregelung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen und an den Notwendigkeiten einfacher, praktikabler und gesamtwirtschaftlich tragfähiger Lösungen zu orientieren hat. Insoweit stellt auch die Finanzierbarkeit der Neuregelung einen wichtigen Gemeinwohlbelang dar.



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