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Verfassungsmäßigkeit der ab 2005 geltenden Altersrentenbesteuerung (BFH X R 53/08)


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bb) Dass die Alterseinkünfte der vormals selbständig tätigen Rentner und die der vormals nichtselbständig tätigen Rentner in einem zeitlich begrenzten Rahmen trotz der unterschiedlichen steuerlichen Vorbelastung der entsprechenden Altersvorsorgeaufwendungen ebenfalls in einem Ãœbergangszeitraum mit demselben Anteil besteuert werden können, ist der Praktikabilität und Administrierbarkeit geschuldet. Der Gesetzgeber trägt dadurch dem Gesichtspunkt Rechnung, dass es im Rahmen der Rentenbesteuerung und damit in einem Massenverfahren einer einfachen, praktikablen und gesamtwirtschaftlich tragbaren Lösung bedarf. Bei der gebotenen Abwägung mit dem Aspekt der Besteuerung des Steuerpflichtigen nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und insbesondere seines Anspruchs darauf, nicht willkürlich anders besteuert zu werden als andere gleich leistungsfähige Steuerpflichtige, konnte der Gesetzgeber dem Gebot einer praktikablen und administrierbaren Lösung die entscheidende Bedeutung beimessen, ohne dass dies verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in dem Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.b verwiesen.

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cc) Der Hinweis des Klägers, nach Auffassung des BVerfG in seinem Urteil in BVerfGE 105, 73 unterliege die Ertragsanteilsbesteuerung von Renten aus einer Zusatzversorgung wegen der pauschalen Lohnversteuerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, so dass die Ertragsanteilsbesteuerung erst recht für Renten gelten müsse, deren Beiträge aus voll versteuertem Einkommen geleistet worden seien, ändert an dieser Beurteilung nichts.

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Zum einen sind die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht vollständig aus versteuertem Einkommen geleistet worden, da für den Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen sowie für den Vorwegabzug des § 10 Abs. 3 EStG a.F. seit dem BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) geklärt sein dürfte, dass eine Aufspaltung der Beiträge anhand der Beitragssätze für die als gleichrangig anzusehenden Zweige der Sozialversicherung vorzunehmen ist. Damit hat zumindest ein Teil der Rentenbeiträge des Klägers sein damalig zu versteuerndes Einkommen gemindert.

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Zum anderen ist in Bezug auf die Zusatzrenten des Bundes und der Länder und vergleichbarer Versorgungseinrichtungen zu beachten, dass sie gemäß § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG nur dann mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG zu besteuern sind, wenn die geleisteten Beiträge nicht nach § 3 Nr. 63 oder 66 EStG steuerbefreit waren oder nach § 10a EStG oder Abschnitt XI des EStG gefördert wurden. Bei der umlagefinanzierten betrieblichen Altersvorsorge war eine Steuerbefreiung der Umlagezahlungen in der „Ansparphase“ bis Ende 2007 nicht gegeben, sodass dieser Teil der Altersvorsorge dem System der vorgelagerten Besteuerung zugewiesen war. Erst seit dem 1. Januar 2008 kann auch bei umlagefinanzierten Versorgungseinrichtungen –wie dies für die kapitalgedeckten betrieblichen Versorgungseinrichtungen bereits seit 2002 durch § 3 Nr. 63 EStG (Steuerfreiheit der Beitragszahlungen an Pensionsfonds, Pensionskassen und ab 2005 an Direktversicherungen) eingeführt wurde– aufgrund der Regelung des § 3 Nr. 56 EStG durch steuerfreie Zuwendungen eine betriebliche Altersversorgung aufgebaut werden, deren Versorgungsleistungen dann aber gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG vollständig nachgelagert besteuert werden (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 7. Mai 2009 VI R 8/07, BFHE 225, 68).

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2. Die geänderte Besteuerung der Renteneinkünfte des Klägers aufgrund des Systems der nachgelagerten Besteuerung unter Aufgabe des Systems der Ertragsanteilsbesteuerung ab dem Jahr 2005 verstößt –abweichend von der Ansicht des Klägers– nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.

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a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedarf es im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Bürger wird in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als einer Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen enttäuscht, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände im Nachhinein ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, m.w.N.). Belastende Steuergesetze, zu denen auch solche gehören, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben, dürfen ihre Wirksamkeit grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen. Es ist daher in jedem Einzelfall zu ermitteln, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 105, 17).

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b) Die Änderung der Besteuerung der Alterseinkünfte genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

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Im Streitfall liegt eine tatbestandliche Rückanknüpfung bzw. eine sog. unechte Rückwirkung vor. Dieser Rückwirkungstatbestand betrifft den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm und ist gegeben, wenn –im Gegensatz zur Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung)– die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach Verkündung der Norm eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung „ins Werk gesetzt“ wurden (BVerfG-Entscheidungen vom 8. Juli 1971 1 BvR 766/66, BVerfGE 31, 275, 292 ff.; und vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242).

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Die einkommensteuerliche Belastung der Renteneinkünfte des Klägers aufgrund des Systemwechsels erhöhte sich erst nach Verkündung des AltEinkG am 5. Juli 2004 ab dem Veranlagungszeitraum 2005; der Kläger hatte aber bereits in früheren Jahren aufgrund seines freiwilligen Beitritts zur gesetzlichen Rentenversicherung die entsprechenden Altersvorsorgeaufwendungen geleistet. Es liegen damit Dispositionen des Klägers vor, die bereits abschließend vollzogen worden waren und nicht mehr geändert werden konnten.

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aa) Angesichts dessen wird in der jüngeren Rechtsprechung des BFH teilweise bezweifelt, ob in solchen Fällen die für den Steuerpflichtigen nachteiligen Gesetzesänderungen nach den Maßstäben der „echten“ oder aber nur der „unechten“ Rückwirkung zu beurteilen sind. In dem vom Kläger zitierten Vorlagebeschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 kommt diese Rechtsprechung ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG zum Dispositionsschutz im Bereich steuerlicher Lenkungsnormen (BVerfG-Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; in BVerfGE 105, 17, 40) und unter Berücksichtigung der im Schrifttum geäußerten Kritik an der bisherigen Rechtsprechung zum Ergebnis, der bislang vom BVerfG nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährte verstärkte Schutz von Dispositionen sei auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken. Auch bei einer tatbestandlichen Rückanknüpfung müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestehende (günstige) Rechtslage schützenswert sei und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigten, dieses Vertrauen überwögen. Das gelte für den rückwirkenden Wegfall einer Steuervergünstigung in gleicher Weise wie für die rückwirkende Belastung mit einem neu begründeten Steueranspruch und ebenso für die Aufhebung von steuerlichen „Freiräumen“ (BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284; siehe auch BFH-Beschluss vom 6. November 2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257).



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