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Verfassungsmäßigkeit der ab 2005 geltenden Altersrentenbesteuerung (BFH X R 53/08)


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2. Der Kläger hat einen Nachweis, dass der Betrag des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Â§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG mindestens zehn Jahre überschritten wurde, entgegen der Auffassung des FG erbracht. Zwar ist ausweislich der Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 8. März 2006 der Betrag des Höchstbeitrags lediglich in fünf Jahren überschritten worden. Zusätzlich muss aber auch die freiwillige (Nach-)Zahlung von Beiträgen im Dezember 1972 berücksichtigt werden, die für den Zeitraum von Januar 1956 bis zum Dezember 1972 erbracht wurden und die sich der vorgelegten Bescheinigung der Angestelltenversicherung vom 21. September 1973 entnehmen lassen. Bei Zugrundelegung dieser Beiträge hat der Kläger neben den von der Deutschen Rentenversicherung Bund bescheinigten fünf Jahren für weitere zwölf Jahre (die Jahre 1956 bis 1967) Beiträge erbracht, die den gesetzlichen Höchstbeitrag überschritten haben. Damit hat er die Voraussetzungen für die Anwendung der Öffnungsklausel erfüllt.

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3. Im Gegensatz zur Auffassung des FG, das insoweit der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben zur Aktualisierung des Schreibens vom 24. Februar 2005 –BStBl I 2005, 429– vom 30. Januar 2008 –BStBl I 2008, 390– unter Rz 137) folgt, kommt es nicht allein darauf an, in welchem Jahr die Beiträge gezahlt wurden, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet wurden. Das sog. In-Prinzip ist im Rahmen der Öffnungsklausel nicht uneingeschränkt anwendbar.

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a) Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG folgt zunächst nur, dass Rentenzahlungen betroffen sind, die darauf beruhen, dass Rentenbeitragszahlungen oberhalb des jeweiligen Höchstbetrags geleistet wurden. Der Vorschrift ist aber keine Aussage darüber zu entnehmen, wann die Zahlungen oberhalb des Höchstbeitrags erfolgt sein müssen; die einzige zeitliche Begrenzung ist der 31. Dezember 2004, bis zu dem sich Zahlungen für die Öffnungsklausel qualifizieren konnten.

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b) Im Gesetzgebungsverfahren zum AltEinkG hatte der Bundesrat die Auffassung vertreten, durch die gesetzliche Regelung sei „ein Verbot der Zweifachbesteuerung bei bestimmten Personengruppen nicht sichergestellt“ (BTDrucks 15/2563, S. 8 – Anlage 2 Nr. 2). Im Wesentlichen von einer Zweifachbesteuerung betroffen seien Selbständige, die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert seien, Selbständige, die freiwillig in die gesetzliche Pflichtversicherung eingetreten seien, sowie Selbständige, die Beiträge an berufsständische Versorgungswerke erbrächten. Der Sonderausgabenabzug für die geleisteten Beiträge sei zudem nur beschränkt möglich; der dieser Personengruppe zustehende Vorwegabzug habe sich in der Regel nur teilweise entlastend ausgewirkt. Von einzelnen berufsständischen Versorgungseinrichtungen sei bekannt, dass nach deren Satzung Pflichtbeiträge in Höhe der 2,5-fachen Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erhoben würden. Dies habe zur Folge, dass in der Vergangenheit geleistete Beiträge in einem weitaus geringeren Umfang von der Einkommensteuer freigestellt gewesen seien, als dies in den Berechnungen für die Festlegung des vorgesehenen Besteuerungsanteils unterstellt worden sei. Ein Besteuerungsanteil von 50 % für Rentenleistungen an die genannten Personen- bzw. Berufsgruppen dürfe deutlich zu hoch sein.

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Aufgrund der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 28. April 2004 (BTDrucks 15/2986) wurde die sog. Öffnungsklausel in das AltEinkG aufgenommen. In der Begründung des Finanzausschusses vom 29. April 2004 wird die Frage, ob bei der Ermittlung der sich für die Öffnungsklausel qualifizierenden Beiträge das In-Prinzip anzuwenden sei, nicht beantwortet. Es wird lediglich ausgeführt, dass mit der Öffnungsklausel der Befürchtung einer doppelten Besteuerung auch in außergewöhnlichen Fällen begegnet werden solle. Eine unzutreffende Besteuerung könne nach Auffassung des Finanzausschusses in Ausnahmefällen dann auftreten, wenn der Zeitraum, in dem Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze geleistet worden seien, mehr als zehn Jahre betrage (BTDrucks 15/3004, S. 20).

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c) Im Gegensatz zur Auffassung des FG gebietet der Sinn und Zweck der Öffnungsklausel nicht die Geltung des sog. In-Prinzips. Zwar kommt es nach dem in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG normierten Abflussprinzip für die Höhe des Sonderausgabenabzugs auf die in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum erbrachten tatsächlichen Zahlungen an. Dies gilt auch für die Nachzahlung von Rentenbeiträgen für bereits abgelaufene Jahre (BFH-Urteil vom 12. November 1976 VI R 167/74, BFHE 120, 398, BStBl II 1977, 154; Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2008 X B 60/07, BFH/NV 2009, 205). Insofern liegt es nicht fern, auch für die Berechnung des Höchstbetrags auf das In-Prinzip abzustellen (so Myßen/Finckh, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 3, S. 14159, 14175; Jansen/Myßen/Risthaus, Renten, Raten, Dauernde Lasten, 13. Aufl., Teil D Rz 1359; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 22 Rz 105; Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 110; Niermann/Risthaus, DB 2008 Beilage Nr. 4 S. 34 f.; Ross in Dankmeyer/Lochte, Einkommensteuer, § 22 Rz 67; wohl auch Blümich/Stuhrmann, § 22 EStG Rz 100; differenzierend HHR/Risthaus, § 22 EStG Rz 314; P. Fischer in Kirchhof, a.a.O., § 22 Rz 27e; kritisch Berndt, Finanz-Rundschau 2007, 172, 176).

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Dieser Ansatz wird aber der Interessenlage der Betroffenen nicht gerecht. Für die Beantwortung der Frage, ob der Betrag des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung mehr als zehn Jahre überschritten worden ist, ist es nicht sachgerecht, lediglich auf das Jahr der Zahlung der Beiträge abzustellen. Es handelt sich hier nicht um das Problem, in welchem Jahr Altersvorsorgeaufwendungen abgezogen werden können, sondern um die Vermeidung einer möglichen verfassungswidrigen Doppelbesteuerung, die dadurch entsteht, dass ein Steuerpflichtiger eine Altersrente als Einnahme versteuern muss, obwohl er die von ihm getragenen Beiträge, aufgrund derer er die Rente erhält, gerade wegen deren Höhe nicht bzw. nur eingeschränkt als Sonderausgaben abziehen durfte. Sind rentenrechtlich Nachzahlungen für einzelne Jahre möglich, sind diese im Rahmen der Öffnungsklausel auch steuerlich zu berücksichtigen.

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Ein Sonderausgabenabzug war in den Fällen, in denen Beiträge für frühere Jahre –wie vom Kläger– nachgezahlt wurden, nicht möglich; der Steuerpflichtige konnte in den Jahren, für die er die Nachzahlung erbrachte, die Beiträge wegen des Abflussprinzips (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) steuerlich nicht geltend machen. In dem Jahr, in dem er die (Nachzahlungs-)Beiträge zahlte, dürften sich diese wegen der bereits ausgeschöpften Höchstbeträge ebenfalls nicht mehr ausgewirkt haben, so dass die auf diesen nachgezahlten Beiträgen beruhenden Renten aus versteuertem Einkommen stammen.

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Diese Auslegung eröffnet nicht die Möglichkeit, missbräuchlich in den Geltungsbereich der Öffnungsklausel zu gelangen, da nur Zahlungen vor 2005 berücksichtigt werden können. Zudem ist zu bedenken, dass die damals erbrachten Leistungen, vor allem die Beiträge zur Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, politisch gewünscht und gefördert wurden.

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4. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen der Öffnungsklausel, sodass die Renten, die auf den Beiträgen des Klägers oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der Jahre 1956 bis 1968 sowie 1985, 1987, 1989 und 1991 beruhen, mit dem Ertragsanteil gemäß Â§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG zu versteuern sind. Damit ist das vom Kläger aufgeworfene Problem der Angemessenheit des vom Gesetzgeber gewählten Zehnjahreszeitraums nicht entscheidungserheblich.

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5. Rechtsfolge der Öffnungsklausel ist die anteilige Ertragsanteilsbesteuerung (so auch BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 390, Rz 133 f.); darüber hinaus ist eine Anwendung der Ertragsanteilsbesteuerung nicht gerechtfertigt. Die Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund beruhte auf der abweichenden Auffassung der Finanzverwaltung; sie muss noch um die Beitragsjahre 1956 bis 1967 ergänzt werden. Da der erkennende Senat den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen kann, wie hoch der Anteil der Rente ist, der auf oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze geleisteten Beiträgen des Klägers beruht, ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Quelle: Bundesfinanzhof



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