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Steuerpflichtige können gegen Änderung Verspätungszuschlag Einspruch einlegen


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16 1. Hinsichtlich des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2003 haben die Kläger den Änderungsbescheid vom 29.03.2006, mit dem der Verspätungszuschlag auf 1.010 EUR herabgesetzt worden ist, wirksam mit dem Einspruch angefochten. Der Einspruch betraf auch den geändert festgesetzten Verspätungszuschlag.

17 Die Kläger haben zwar zunächst Einspruch „gegen den Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer … vom 29.03.2006“ erhoben,

ohne ausdrücklich zu erklären, gegen welche Verwaltungsakte (Festsetzungen) im einzelnen sich ihr Einspruch richten soll. Durch Auslegung dieses Rechtsbehelfs ergibt sich aber zweifelsfrei, dass er auch die Festsetzung des Verspätungszuschlages betrifft:

18 Prozessuale und außerprozessuale Rechtsbehelfe sind unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung fehlt. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (BFH-Beschlüsse vom 24. August 2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035, vom 19. Juli 2005 XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68 und vom 6. Juli 2005 XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029; BFH-Urteil vom 31.10.2000 VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589). Die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gebietet eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise erschweren. Durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften darf der Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts nicht unzumutbar verkürzt werden (vgl BVerfG-Beschluss vom 2.9.2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835, HFR 2003, 74 m. w. N.). Lässt deshalb die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, so ist im Allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten (BFH-Urteil vom 27. Februar 2003 V R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505). Entsprechend ist auch, wenn das Ausmaß der Anfechtungen eines „Bescheids“ zunächst unklar ist (gegen welche Festsetzungen wendet sich der Einspruch im Einzelnen ?), nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass einige Regelungen des Bescheides nicht angefochten werden sollen.

19 Unter diesen Umständen kann es im Streitfall nicht zum Rechtsverlust der Kläger führen, wenn sie bei Anfechtung des Bescheides die Bezeichnung verwendet haben, mit der das Finanzamt den Bescheid selbst benannt hat. Der erkennbare Wille der Kläger, dass der Einspruch auch den Verspätungszuschlag erfassen sollte, ergibt sich zudem aus der Einspruchsbegründung, worin sich die Kläger ausdrücklich gegen die Neufestsetzung des Verspätungszuschlags wenden. Dass die Einspruchsbegründung erst nach Ablauf der Einspruchsfrist erfolgt ist, ist unschädlich; ausreichend ist, dass innerhalb der Einspruchsfrist eine auslegungsfähige und auslegungsbedürftige Erklärung vorliegt („ergänzungsbedürftiges Minimum“), die auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist konkretisiert werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Mai 1998 IV B 108/97, BFH/NV 1999, 146; BFH-Urteil vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, wonach selbst die Konkretisierung, wer aus einem abgegrenzten Personenkreis tatsächlich Kläger ist, noch nach Ablauf der Klagefrist erfolgen kann).

20 Das Finanzamt durfte den Einspruch der Kläger auch nicht im Hinblick auf § 351 Abs. 1 AO als unzulässig verwerfen. Hiernach können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.

21 Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für Verwaltungsakte, die –wie hier die Festsetzung des Verspätungszuschlags nach den Vorschriften der §§ 130, 131 AO 1977 korrigiert worden sind (BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE, BStBl II 1984, 791 [795 unter II. 3.]). Der in § 351 Abs. 1 AO verwendete Begriff der „Änderung” eines Verwaltungsakts entspricht der sonstigen Terminologie des Gesetzes. Die Vorschrift gilt demnach nur für Verwaltungsakte, die andere Verwaltungsakte ändern, und umfasst nicht die Fälle der Rücknahme (§ 130 AO), des Widerrufs (§ 131 AO) sowie der ersatzlosen Aufhebung eines Verwaltungsakts. Das folgt insbesondere aus der Ausnahmeregelung des § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO, die auf die „Vorschriften über die Aufhebung und Änderung” von Verwaltungsakten, die in den §§ 172 ff. AO enthalten sind, Bezug nimmt. Auf die nach den §§ 130, 131 AO korrigierbaren Bescheide über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen ist § 351 Abs. 1 AO mithin bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar (BFH Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE, BStBl II 1984, 791 [795 unter II. 3.]; Anwendungserlass zur Abgabenordnung –AEAO Nr.2 zu § 351 AO; in der Literatur allerdings streitig: ebenso Haarmann DStZ A 1977, 83 (86 unter III. 2.11); Hardtke in Kühn/ v. Wedelstädt, § 351 Rz. 6; Dumke in Schwarz, § 351 AO Rz. 12 a; Scymczak in Koch/ Scholtz § 351 AO Rz. 6; Leopold/ Madle/ Rader § 351 AO Rz. 2; anderer Ansicht, d. h. für die Anwendbarkeit des § 351 Abs. 1 AO: Tipke/Kruse, § 351 AO Tz.6; Birkenfeld in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, § 351 AO Rz. 32; von Wedel in Beermann/ Gosch, § 351 Rz. 9).

22 Darüber hinaus bestünde für eine Anwendung des § 351 Abs. 1 AO auf die rücknahme- oder widerrufsfähigen Verwaltungsakte schon deshalb kein praktisches Bedürfnis, weil diese zumeist auch nach Unanfechtbarkeit korrigierbar sind, indem sie z. B. an geänderte Verhältnisse anzupassen und hierbei neue Ermessenserwägungen anzustellen sind. So erfolgt die Entscheidung über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags in drei Schritten: Ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 152 Abs. 1 AO), ist eine Rechtsentscheidung. Liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vor, schließt sich hieran eine zweistufige Ermessensentscheidung (vgl. § 5 AO, § 102 FGO) an, nämlich die Entscheidung, ob überhaupt (Entschließungsermessen) und ggf. in welcher Höhe (Auswahlermessen) ein Verspätungszuschlag festzusetzen ist. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags durch das Finanzamt wird im Bescheid regelmäßig nicht begründet. Wird ein Verspätungszuschlag danach nicht angefochten, so handelt es sich (da ihm die notwendige Begründung fehlt, § 121 Abs. 1 AO, und § 127 AO für Ermessensentscheidungen nicht gilt) um einen zwar bestandskräftigen, aber rechtswidrigen Verwaltungsakt, der gemäß Â§ 130 Abs. 1 AO auch nach Unanfechtbarkeit zurückgenommen werden kann. Diese Entscheidung auf Abänderung bzw. Anpassung des Verspätungszuschlags steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts (§ 5 AO).

23 Bei Änderungen der Verhältnisse, insbesondere (wie im Streitfall) bei einer Herabsetzung der festgesetzten Steuer, die dem Verspätungszuschlag zugrunde liegt, hat das Finanzamt zu prüfen, in welchem Umfang die für die Festsetzung des Zuschlags maßgebenden Gesichtspunkte noch gegeben sind; diese Prüfung erstreckt sich sowohl auf die Obergrenze von 10 v. H. der festgesetzten Steuer als auch auf die Ermessenskriterien (so bereits BFH-Urteile vom 29. März 1979 V R 69/77, BFHE 128,17; BStBl II 1979 641 und vom 8. September 1994 IV R 20/93, BFH/NV 1995, 520). Maßgebend ist dabei die aktuelle Sach- und Rechtslage, wie sie sich (bei Anfechtung des geänderten bzw. beibehaltenen Verspätungszuschlags) im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung darstellt (BFH-Beschluss vom 19. November 2007 VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335); dies schließt in Einzelfällen sogar eine Verböserung nicht aus (BFH a. a. O. in BFH/NV 2008, 335). Es wäre sinnwidrig, wenn die zu treffende aktuelle Ermessensentscheidung des Finanzamts durch die Anwendung des § 351 Abs. 1 AO nicht anfechtbar und nicht gerichtlich überprüfbar wäre, weil eine inzwischen überholte frühere Ermessensentscheidung bestandskräftig geworden ist (so in der Tat aber Tipke/ Kruse § 152 AO Tz. 55). Dann bräuchte es auch keine feinsinnigen Ermessenserwägungen des Finanzamts; solange es den Verspätungszuschlag nicht heraufsetzt, könnte das Finanzamt machen, was es will (z. B. auch Verspätungszuschläge über 10 % der neu festgesetzten Steuer aufrechterhalten). Der Anspruch des Bürgers auf ermessensfehlerfreies Verwaltungshandeln wäre ohne Anfechtungsmöglichkeit nichts wert. Dies verdeutlicht, dass die Anwendung des § 351 Abs. 1 AO auf die Aktualisierung von Ermessensentscheidungen nach §§ 130, 131 AO auch zu keinen akzeptablen Ergebnissen führen würde.

24 Nach alledem war der Einspruch der Kläger gegen den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2003 nicht unzulässig.

25 2. Entsprechendes gilt für den Einspruch gegen den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2004: auch hier ergibt sich (wie bereits oben dargelegt) durch Auslegung, dass die Kläger mit den Einsprüchen jeweils gegen den „Bescheid“ auch die Festsetzung des Verspätungszuschlags angefochten haben.

26 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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Quelle: Finanzgericht Düsseldorf



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