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Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt


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Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
Regelungen des TKG und der StPO über die Vorratsdatenspeicherung mit
Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Zwar ist eine
Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein
schlechthin verfassungswidrig. Es fehlt aber an einer dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die
angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende
Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke
der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den
verfassungsrechtlichen Transparenz und Rechtsschutzanforderungen. Die
Regelung ist damit insgesamt verfassungswidrig und nichtig.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Zur Zulässigkeit:
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht unzulässig, soweit die
angegriffenen Vorschriften in Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG
ergangen sind. Die Beschwerdeführer erstreben, ohne dass sie dies
angesichts ihrer unmittelbar gegen das Umsetzungsgesetz gerichteten
Verfassungsbeschwerden vor den Fachgerichten geltend machen konnten,
eine Vorlage durch das Bundesverfassungsgericht an den Europäischen
Gerichtshof, damit dieser im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267
AEUV (vormals Art. 234 EGV) die Richtlinie für nichtig erkläre und so
den Weg frei mache für eine Ãœberprüfung der angegriffenen Vorschriften
am Maßstab der deutschen Grundrechte. Jedenfalls auf diesem Weg ist eine
Prüfung der angegriffenen Vorschriften am Maßstab der Grundrechte des
Grundgesetzes nach dem Begehren der Beschwerdeführer nicht von
vornherein ausgeschlossen.

Zur Begründetheit:
1. Kein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht, da
es auf einen möglichen Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht ankommt.
Die Wirksamkeit der Richtlinie 2006/24/EG und ein sich hieraus
möglicherweise ergebender Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor deutschen
Grundrechten sind nicht entscheidungserheblich. Der Inhalt der
Richtlinie belässt der Bundesrepublik Deutschland einen weiten
Entscheidungsspielraum. Ihre Regelungen sind im Wesentlichen auf die
Speicherungspflicht und deren Umfang beschränkt und regeln nicht den
Zugang zu den Daten oder deren Verwendung durch die Behörden der
Mitgliedstaaten. Mit diesem Inhalt kann die Richtlinie ohne Verstoß
gegen die Grundrechte des Grundgesetzes umgesetzt werden. Das
Grundgesetz verbietet eine solche Speicherung nicht unter allen
Umständen.

2. Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG
Die angegriffenen Vorschriften greifen auch soweit es um die Speicherung
der Internetzugangsdaten und um die Ermächtigung zu Auskünften nach §
113b Satz 1 Halbsatz 2 TKG geht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1
GG (Telekommunikationsgeheimnis) ein. Dass die Speicherung durch private
Diensteanbieter erfolgt, steht dem nicht entgegen, da diese allein als
Hilfspersonen für die Aufgabenerfüllung durch staatliche Behörden in
Anspruch genommen werden.

3. Möglichkeit einer anlasslosen Speicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten

Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen
der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der
Nachrichtendienste, wie sie die §§ 113a, 113b TKG anordnen, ist mit Art.
10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Bei einer Ausgestaltung, die dem
besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung
trägt, unterfällt eine anlasslose Speicherung der
Telekommunikationsverkehrsdaten nicht schon als solche dem strikten
Verbot einer Speicherung von Daten auf Vorrat im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Eingebunden in eine dem
Eingriff adäquate gesetzliche Ausgestaltung kann sie den
Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.

Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen
besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die
Rechtsordnung bisher nicht kennt. Auch wenn sich die Speicherung nicht
auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus diesen Daten
bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen.
Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn
sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination
detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen
Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.
Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die
Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits und Bewegungsprofile
praktisch jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern,
weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass
gegeben zu haben. Darüber hinaus verschärfen die
Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer solchen Datensammlung verbunden
sind, deren belastende Wirkung. Zumal die Speicherung und
Datenverwendung nicht bemerkt werden, ist die anlasslose Speicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl
des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der
Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.

Dennoch kann eine solche Speicherung unter bestimmten Maßgaben mit Art.
10 Abs. 1 GG vereinbar sein. Maßgeblich dafür ist zunächst, dass die
vorgesehene Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht direkt
durch den Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten
Diensteanbieter verwirklicht wird. Die Daten werden damit bei der
Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt, sondern bleiben verteilt
auf viele Einzelunternehmen und stehen dem Staat unmittelbar als
Gesamtheit nicht zur Verfügung. Eine Speicherung der
Telekommunikationsverkehrsdaten für sechs Monate stellt sich auch nicht
als eine Maßnahme dar, die auf eine Totalerfassung der Kommunikation
oder Aktivitäten der Bürger insgesamt angelegt wäre. Sie knüpft vielmehr
in noch begrenzt bleibender Weise an die besondere Bedeutung der
Telekommunikation in der modernen Welt an und reagiert auf das
spezifische Gefahrenpotential, das sich mit dieser verbindet. Eine
Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen ist daher für
eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer
Bedeutung.


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