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Den "Leidensdruck" auf Langzeitarbeitslose muss erhöht werden



tz München: Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) im tz-Interview: „Wir müssen Arbeitslose aus den Betten klingeln“
München (ots) – Mit Ihrer Forderung, den „Leidensdruck“ auf Langzeitarbeitslose zu erhöhen, hat Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer für heftige Diskussionen gesorgt. Im tz-Interview legt die 48-Jährige anhand eines Modellprojekts in Ingolstadt dar, wie genau sie sich künftig „Fördern und Fordern“ für Hartz-IV-Bezieher vorstellt.


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Und die CSU-Politikerin erklärt, warum sie glaubt, dass Bayern reif ist für eine Ministerpräsidentin:

Sie haben gesagt, es gebe für manche Arbeitslose „zu wenig Leidensdruck“. Haben Sie konkrete Vorschläge, wie der „Leidensdruck“ erhöht werden soll?

Haderthauer: Das mit dem Leidensdruck ist keine Erfindung von mir, sondern das Ergebnis einer OECD-Studie, die sagt: Deutschland hat mit die am stärksten verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit – aufgrund der guten Sozialleistungen. Meine Botschaft war an das Bundesarbeitsministerium und die Bundesagentur für Arbeit gerichtet: Langzeitarbeitslose müssen stärker aktiviert werden. Die Botschaft war nicht, Arbeitslose abzuwerten! Jeder Langzeitarbeitslose hat einen Anspruch darauf, dass wir alles unternehmen, ihn wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb finde ich es ärgerlich, dass Ursula von der Leyen gerade bei den Ein-Euro-Jobs und anderen aktivierenden Maßnahmen kürzen will. Dabei müsste man diese Maßnahmen gerade jetzt, in dieser wirtschaftlichen Boom-Phase verstärken!

Es ist doch schon jetzt so, dass ALGII-Leistungen sogar ganz gestrichen werden können, wenn ein Job-angebot ohne hinreichende Gründe abgelehnt wird. Reicht das nicht?

Haderthauer: Natürlich, das grundlose Ablehnen kann schon heute sanktioniert werden. Was ist aber, wenn ein Langzeitarbeitsloser den Job zwar annimmt, mit der vollen Belastung auf dem ersten Arbeitsmarkt aber nicht zurechtkommt und deshalb nach kürzester Zeit schon wieder entlassen wird? Menschen, die lange keine Arbeit hatten, müssen wir manchmal Brücken bauen, damit sie sich wieder an einen strukturierten Arbeitstag gewöhnen. In Ingolstadt haben wir ein Projekt, bei dem ein Kleinbus die Langzeitarbeitslosen aus dem Bett klingelt und abholt – weil für viele schon das frühe Aufstehen eine Herausforderung ist.

Aber ist das nicht Geldverschwendung, Arbeitslose aus dem Bett klingeln zu lassen?

Haderthauer: Das ist im Moment vielleicht teurer, zahlt sich aber auf Dauer aus! Denn sie werden bald keine Lust mehr haben, sich aus dem Bett klingeln zu lassen, sondern stehen dann selbst auf, kommen in die Arbeit und bewähren sich im Job. Sie bekommen wieder ein Gefühl für ihre Stärken, Selbstbewusstsein – und schaffen wieder einen Acht-Stunden-Tag.

Im Juli wollen Ilse Aigner und Sie als Stellvertreterin den Bezirksvorsitz der mächtigen Oberbayern-CSU antreten. Ãœbernehmen Frauen in der Männerpartei die Macht?

Haderthauer: Ilse Aigner und ich wollen die Frauen in der CSU ermuntern und stärken. Die CSU muss die Gesellschaft realistisch abbilden. Und deshalb ist es wichtig, dass sich die Frauen, die wir in der Partei haben, stärker einbringen. Um das besser zu ermöglichen, haben wir die Frauenquote für den Parteivorstand und auf Landes- und Bezirksebene eingeführt. Wir haben auch beschlossen, dass wir nach zwei Jahren überprüfen, ob wir die Quote auch auf untere Gremien übertragen.

Also kann Ministerpräsident Seehofer auch eine Frau beerben?

Haderthauer: Ich glaube nicht, dass die Tatsache, dass jemand eine Frau ist, für die bayerische Bevölkerung eine größere Herausforderung darstellen würde. Die Kanzlerin beweist doch, dass wir nicht mehr in Zeiten leben, in denen das Geschlecht ein Hinderungsgrund ist.

Werden Frauen in der Politik anders wahrgenommen?

Haderthauer: Ja, aber nicht nur dort, sondern generell. Wenn ein männlicher Vorgesetzter auf den Tisch haut und laut wird, sagen alle: Toll, wie durchsetzungsfähig der ist. Wenn das eine Frau tut, heißt es: Die hat sich nicht im Griff. Frauen müssen in den oberen Etagen nach den Spielregeln der Männer spielen, dürfen sich aber nicht so benehmen wie die Männer – weil das als unpassend empfunden wird.

Und Sie selbst? Können Sie sich vorstellen, CSU-Chefin zu werden, jetzt, da Hoffungsträger zu Guttenberg weg ist?

Haderthauer: Nächste Frage bitte! Nein, das steht überhaupt nicht zur Debatte.

Aber so eine Aufgabe reizt doch einen Politiker…

Haderthauer: Klar, aber genauso könnten sie mich fragen, ob ich Chefin der Deutschen Bank werden will. Hier gibt es derzeit keinerlei Ãœberlegungsbedarf.

Edmund Stoiber stürzte auch deshalb, weil er zu spät über seine Nachfolge nachgedacht hat. Müsste nicht langsam auch Horst Seehofer einen Nachfolger aufbauen?

Haderthauer: Definitiv nein. Das Thema „Aufhören“ und Horst Seehofer haben überhaupt keine Verbindung zueinander. Ich kenne niemanden in der Partei, der der Meinung ist, er könnte diesen harten Job derzeit besser als Seehofer.

Ab 1. Juli fällt die Wehrpflicht – und damit sind auf einen Schlag auch alle Zivildienstleistenden weg. Sind Bayerns Sozialeinrichtungen auf diesen Hoppla-Hopp-Kahlschlag vorbereitet?

Haderthauer: Das ist kein Hoppla-Hopp-Kahlschlag! Die Situation ist doch längst nicht mehr wie vor 20 Jahren, als Zivildienstleistende in großer Anzahl im Einsatz waren. Heute haben wir in Bayern nur noch 2036 Zivildienstleistende in sozialen Tätigkeiten. Unter allen Beschäftigten in stationären Pflegeheimen liegt der Anteil der Zivis sogar durchschnittlich bei weniger als einem Prozent. Wer jetzt klagt, dass er seinen Betrieb ohne Zivis nicht aufrechterhalten kann, erweckt den Anschein, sie als billige Arbeitskräfte eingesetzt zu haben – und das war nie zulässig.

Hat Ihr Parteifreund Karl-Theodor zu Guttenberg zu wenig Rücksicht auf die sozialen Einrichtungen genommen, als er die Wehrpflicht kippte – und damit auch den Zivildienst?

Haderthauer: Ich kann nicht mit der Begründung, ich brauche den Zivildienst, die Wehrpflicht beibehalten! Der Zivildienst war immer abhängig vom Bestand der Wehrpflicht.

Was halten Sie vom Vorschlag des Alt-Kanzlers Helmut Schmidt, eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Männer und Frauen einzuführen?

Haderthauer: Mit welcher Berechtigung wollen wir jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens wegnehmen? Wir fordern ja auch nicht: Alle 60-Jährigen sollen ein Jahr sozial arbeiten. Beides wäre ungerechtfertigt. Ich finde es verkehrt, Pflicht und Freiwilligkeit gleichzusetzen. Freiwillige sind doch viel motivierter.

Ihr Partei-Kollege Johannes Singhammer hatte schon eine um bis zu 0,5 Prozentpunkte teurere Pflegeversicherung ausgerufen, wurde dann zurückgepfiffen. Wie teuer wird es wirklich?

Haderthauer: Wir sind in dieser Koalition mit dem Ziel angetreten, die Arbeitnehmer zu entlasten. Deshalb halte ich es für schwierig, bei der Diskussion über eine Neuordnung der Pflege zuallererst über Beitragserhöhungen zu sprechen. Wichtiger ist, sich darüber zu einigen, was die Pflegeversicherung künftig leisten soll. Wir müssen pflegende Angehörige und den ambulanten Bereich stärken. Dann kann die teurere stationäre Pflege entlastet werden! Viele Menschen müssten heute nicht in Pflegeheimen sein, wenn wir mehr und vielfältigere ambulante Strukturen hätten.

Im Koalitionsvertrag steht noch immer die Einführung einer kapitalgedeckten Absicherung. Wann wird die private Extra-Versicherung für die Pflege kommen?

Haderthauer: Meiner Ãœberzeugung nach gibt es in der Regierungskoalition keine Mehrheit für eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung. Gerade in der Finanzkrise ist doch deutlich geworden, dass kapitalgedeckte Systeme den Umlagesystemen nicht überlegen sind. Zusatzbeiträge würden zudem eine ungeheure Bürokratie bringen. Die Bürger wollen, dass wir im jetzigen solidarischen System bleiben, also die hälftige Zahlung Arbeitgeber -Arbeitnehmer beibehalten.

Interview: Walther Schneeweiß/Klaus Rimpel

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