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BFH VIII R 78/05 – Vorlagepflichten eines Berufsgeheimnisträgers (Rechtsanwalt, Steuerberater)


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Die Ermessensentscheidung des FA ist nach § 102 Satz 1 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Eine Mitwirkung darf nur verlangt werden, soweit sie zur Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 15. September 1992 VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76, und BFH-Beschlüsse vom 11. September 1996 VII B 176/94, BFH/NV 1997, 166, 169; in BFH/NV 2005, 1226). Der Umfang der Ermittlungspflicht des FA wie auch der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bestimmt sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles (§§ 88 Abs. 1 Satz 3, 90 Abs. 1 Satz 3, 200 AO).


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c) Unter Beachtung dieser Grundsätze waren die Aufforderungen zur Vorlage der „Kassenbücher bzw. Kassenberichte“ im Bescheid 1 und der „Aufzeichnungen über die durchlaufenden Posten und die Unterlagen über die Umbuchungen“ im Bescheid 2 rechtswidrig.

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Der Kläger war nicht buchführungspflichtig; § 141 AO findet auf die freien Berufe keine Anwendung (s. auch Klein/Rätke, AO, 9. Aufl., § 141 Rz 1, 10). Er hat seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. Er war deshalb weder verpflichtet, ein Kassenbuch zu führen oder Kassenberichte zu erstellen noch Umbuchungen vorzunehmen und aufzuzeichnen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die den Kläger treffenden Aufzeichnungspflichten nach § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eine Aufzeichnung durchlaufender Posten (§ 10 Abs. 1 Satz 6 UStG) gebieten. Dass er freiwillig Bücher geführt hätte, ist nicht festgestellt. Geht man angesichts dessen davon aus, dass die genannten Vorlageverlangen sich auf etwas objektiv nicht Vorhandenes richteten, waren sie nichtig gemäß Â§ 125 Abs. 2 Nr. 2 AO (BFH-Beschluss vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 609; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 125 AO Rz 27). Für den Fall, dass der Kläger Kassenbücher, Kassenberichte sowie Aufzeichnungen über durchlaufende Posten und Umbuchungen freiwillig geführt haben sollte, war deren mit der Androhung von Zwangsgeldern verbundene Anforderung unverhältnismäßig, solange aus anderen angeforderten Unterlagen (Ausgangsrechnungen, Eingangsrechnungen, Kontoauszüge, Belege zu den baren Geschäftsvorfällen, detaillierte Aufzeichnungen über die Einnahmen und Ausgaben) nach Art und Umfang ausreichende Erkenntnisse zu erwarten waren und die Existenz weiterer freiwillig geführter Buchführungsunterlagen nicht festgestellt war. Trotz des einschränkungslosen Wortlauts des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO beschränken sich Vorlagepflicht des Steuerpflichtigen und Vorlageanspruch des FA regelmäßig auf die typischerweise erwartbaren Unterlagen. Dies schließt nicht aus, dass, wenn die Existenz typischerweise nicht zu erwartender Unterlagen bekannt ist, die besonderen Umstände im Einzelfall die Vorlage dieser Unterlagen gebieten könnten.

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Die Rechtswidrigkeit der zuvor genannten Vorlageverlangen hat die Rechtswidrigkeit der darauf gegründeten Zwangsgeldandrohungen zur Folge und diese wiederum die Rechtswidrigkeit der entsprechenden Zwangsgeldfestsetzungen. Dabei ergreift die Rechtswidrigkeit der Verlangen im Bescheid 2 zur Vorlage der Aufzeichnungen über Umbuchungen und durchlaufende Posten die zugehörigen Zwangsgeldandrohungen „in Höhe von je 750 € für 1995, 1996 u. 1997, insgesamt 2.250 €“ und die entsprechenden Zwangsgeldfestsetzungen in vollem Umfang, weil diese Androhungen und Festsetzungen auch andere Unterlagen betrafen („detaillierte Aufzeichnungen über die Einnahmen und Ausgaben“), ohne dass es insoweit einen unlösbaren sachlichen Bezug gegeben hätte. Damit entsprach der Bescheid nicht dem Gebot des § 332 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach die Androhung eines Zwangsmittels für jede einzelne Verpflichtung getrennt zu ergehen hat. Bei der vorgenommenen Verknüpfung in einem Bescheid ließ sich nicht erkennen, welcher Teil des jeweiligen Jahresbetrages auf welches Vorlageverlangen entfallen sollte. FG und BFH sind nicht befugt, diesen Fehler durch die Ausübung gerichtlichen Ermessens zu beseitigen (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 102 Rz 14, m.w.N.).


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d) Das Vorlageverlangen zu „Unterlagen über das steuerpflichtige Vermögen zum 31.12.1994 und 31.12.1995“ war zu unbestimmt, um erfüllbar zu sein (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs vom 14. Dezember 1921 III A 222, RStBl 1922, 132, 133; vom 20. April 1923 VI. A. 22/23, Steuer und Wirtschaft 1923 Nr. 629; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz 82). Wie der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes zu verstehen ist, bestimmt sich danach, wie der Adressat den Inhalt nach dessen objektivem Sinngehalt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte (vgl. Senatsurteil vom 29. August 2001 VIII R 1/01, BFH/NV 2002, 465 –„objektiver Verständnishorizont“–, m.w.N.; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 124 AO Rz 15, m.w.N.). Dabei können dem Adressaten bekannte Umstände mit zu berücksichtigen sein. Hätte der Kläger Vermögensteuererklärungen auf den 1. Januar 1995 oder 1. Januar 1996 abgegeben, hätte der Bezug des Verlangens auf den Nachweis der dort erklärten aktiven und passiven Vermögenspositionen nach Art und Höhe zumindest nahe gelegen. Ausweislich der beigezogenen Vermögensteuerakten fehlt es jedoch an solchen Steuererklärungen.

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4. Im Ãœbrigen waren die Vorlageverlangen rechtmäßig.

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a) Bei freiberuflich tätigen Steuerpflichtigen wie dem Kläger ist eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO ohne weitere Voraussetzungen zulässig. Bei Prüfungsanordnungen, die auf § 193 Abs. 1 AO beruhen, genügt in der Regel der Hinweis auf die Vorschrift als Begründung der Außenprüfung (s. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1991 X R 89/89, BFHE 166, 105, 111, BStBl II 1992, 220, 223). Ist die Prüfung –wie hier– bestandskräftig angeordnet, bedarf auch die Anforderung der Vorlage von Unterlagen zur Prüfung, hinsichtlich derer den Steuerpflichtigen nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO eine Vorlagepflicht trifft, grundsätzlich keiner weiteren Begründung; jedenfalls genügt der Hinweis auf die Vorschrift, wie er hier in den Einspruchsentscheidungen erfolgt ist. Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf, die eine andere Beurteilung erforderten. Dies gilt auch hinsichtlich der geltend gemachten Vorlageverweigerungsrechte (s. dazu unter II.4.g der Gründe dieses Urteils).


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