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BFH VII R 39/08 – Kein wirksames Steueraussetzungsverfahren ohne Bezugsberechtigung des Empfängers


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Schließlich wird die Verweigerung einer Steuerentlastung im Streitfall durch steuertechnische Erwägungen legitimiert. Nach dem gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchsteuersystem trifft den Steuerlagerinhaber eine Art Garantenstellung in Bezug auf die ordnungsgemäße Durchführung des Steuerversandverfahrens. Bei auftretenden Unregelmäßigkeiten, die zur Entziehung der Ware aus dem Steueraussetzungsverfahren führen, kann der Steuerlagerinhaber auf Zahlung der dadurch entstandenen Verbrauchsteuer in Anspruch genommen und zu diesem Zweck die von ihm geleistete Sicherheit verwertet werden. Dieses Verfahren gewährleistet das Funktionieren des innergemeinschaftlichen Handels mit unversteuerten verbrauchsteuerpflichtigen Waren. In seiner steuertechnischen Ausgestaltung entspricht das Steuerversandverfahren den zollrechtlichen Versandverfahren, die ebenfalls eine besondere Verantwortung des Verfahrensinhabers vorsehen. In seinem Urteil vom 3. April 2008 C-230/06 (Slg. 2008, I-1895) hat der EuGH eine zollrechtliche Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unbeanstandet gelassen.


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Die Zusage einer steuerlichen Entlastung in jedem Fall eines Misslingens der Steuerüberwälzung im Rahmen eines fehlgeschlagenen Steuerversandverfahrens gefährdete die Effektivität des innergemeinschaftlichen Beförderungsverfahrens und die Realisierung des Steueranspruchs des Steuergläubigers, denn damit würde der Anreiz erheblich gemindert, für eine ordnungsgemäße Durchführung des Steuerversandverfahrens hinreichend Sorge zu tragen (vgl. zu diesem Aspekt auch EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-1895).

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Eine dem § 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) entsprechende Regelung hat der Gesetzgeber für das Mineralölsteuerrecht bewusst nicht getroffen. Selbst wenn die Eröffnung eines verbrauchsteuerrechtlichen Versandverfahrens auf unrichtigen Angaben des Abnehmers über seine Empfangsberechtigung beruht und der Steuerlagerinhaber die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, kann die aus dem Steuerlager entfernte Ware nicht als unter Steueraussetzung stehend behandelt werden. Auch lässt sich die EuGH-Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (vgl. EuGH-Urteil vom 27. September 2007 C-409/04, Slg. 2007, I-7797) für eine rechtsfolgeneinschränkende Interpretation des § 9 Abs. 1 MinöStG 1993 nicht nutzbar machen. Diese Rechtsprechung kann für das Verbrauchsteuerrecht deshalb keine Geltung beanspruchen, weil der innergemeinschaftliche Handel mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren einem strengen und formalisierten Ãœberwachungsverfahren unterliegt. Durch den Zwang zur Verwendung der vorgeschriebenen Begleitdokumente unter Stellung einer Sicherheitsleistung und durch die Einbindung der Zollverwaltung in die Durchführung und Erledigung des Steueraussetzungsverfahrens (z.B. durch Erteilung entsprechender Erlaubnisse und Anbringung eines Sichtvermerks auf dem Rückschein) sowie durch besondere, den zollrechtlichen Vorschriften nachgebildete Regelungen im Falle von Unregelmäßigkeiten (Art. 20 SystemRL), ist das Beförderungsverfahren in seiner steuertechnischen Ausgestaltung dem gemeinschaftlichen Versandverfahren weitgehend angenähert. Aufgrund dieser Unterschiede lässt sich die Rechtsprechung zum Umsatzsteuerrecht nicht auf verbrauchsteuerrechtliche Sachverhalte übertragen.

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Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich im Gegensatz zur Umsatzbesteuerung aufgrund der von der ausländischen Finanzverwaltung bestätigten Rückscheine ein schlüssiger Nachweis führen lässt, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Bestimmungsland eingetroffen sind und folglich den Abgangsmitgliedstaat physisch verlassen haben. Auch werden Mineralölhändler, die innergemeinschaftliche Steuerversandverfahren durchführen, nicht schlechtergestellt, als Mineralölhändler, die unversteuertes Mineralöl an im Steuergebiet gelegene Steuerlager versenden. Sofern der Empfänger nicht über eine Berechtigung verfügt, verbrauchsteuerpflichtige Waren unter Steueraussetzung zu empfangen, gelangt die Mineralölsteuer in beiden Fällen nach § 9 Abs. 1 MinöStG 1993 zur Entstehung. Damit werden im Fall von Unregelmäßigkeiten auch diejenigen Mineralölhändler steuerlich belastet, die ausschließlich Umsätze im Inland bewirken (vgl. zur anderen Rechtslage bei der Umsatzsteuer EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-7797, Rz 60).

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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gutglaubensschutz im Umsatzsteuerrecht nur dann gewährt wird, wenn der Steuerpflichtige alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung geführt hat. Hätte der Steuerpflichtige, z.B. durch eine Anfrage nach § 18e UStG an das Bundeszentralamt für Steuern, die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers erkennen können, kommt eine Anwendung von § 6a Abs. 4 UStG nicht in Betracht (Treiber in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 6a Rz 104; Leonard in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 6a Rz 65, der eine qualifizierte Bestätigungsabfrage bei neuen Geschäftskontakten –insbesondere mit hohen Umsätzen– für selbstverständlich hält). Im Streitfall hat die Klägerin vor Aufnahme der Belieferung der polnischen Kunden von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, sich die von den Abnehmern behauptete Bezugsberechtigung durch eine Anfrage beim Hauptzollamt Stuttgart bestätigen zu lassen. Selbst wenn sich die zur Umsatzsteuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen entwickelte Rechtsprechung des EuGH auf verbrauchsteuerrechtliche Sachverhalte übertragen ließe, beständen im Streitfall zumindest erhebliche Zweifel, ob der Klägerin nach diesen Grundsätzen –auch ohne ausdrückliche Regelung im MinöStG 1993– Gutglaubensschutz gewährt werden könnte.


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