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BFH Urteil I R 99/08 – Betriebsaufgabe bei Gewinnermittlung durch Ãœberschussrechnung


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7. Der Senat hält indes an der Rechtsprechung zur finalen Betriebsaufgabe aus den gleichen Gründen nicht fest, die ihn zur Aufgabe der sog. Theorie der finalen Entnahme bei der Ãœberführung von Einzelwirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte des gleichen Unternehmens bewogen haben (Senatsurteil in BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464; dazu Nichtanwendungsschreiben des BMF vom 20. Mai 2009, BStBl I 2009, 671). Für die Annahme eines Realisationstatbestands bei Verlegung eines Betriebs ins Ausland fehlte es im Streitjahr sowohl an einer gesetzlichen Grundlage als auch an einem Bedürfnis (ablehnend deshalb z.B. auch Kessler/Huck, Steuer und Wirtschaft –StuW– 2005, 193, 198 ff.; Buciek in Flick/Wassermeyer/ Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 7 Rz 156; Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten Handbuch, 2006, Rz 4.89 und Wassermeyer, ebenda, Rz 5.15; Hidien in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 49 Rz D 4024; Hörger/Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 16 Rz 70a; Pohl in Lüdicke, Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung, 2002, S. 33, 46 ff.; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., S. 279 ff.). Die der früheren Rechtsprechung zugrunde liegende Erwägung, dass die in den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens ruhenden stillen Reserven nicht endgültig der Besteuerung entgehen dürften (Senatsurteil in BFHE 102, 374, BStBl II 1971, 630), gebietet keine sofortige Besteuerung eines fiktiven Aufgabegewinns zum Zeitpunkt der Betriebsverlegung.

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Die genannte Erwägung beruht auf der Annahme, der mit der Betriebsverlegung verbundene Wegfall des Besteuerungszugriffs auf die Einkünfte aus der künftig ausgeübten selbständigen Arbeit habe zur Folge, dass auch die während der Ausübung der Tätigkeit im Inland entstandenen stillen Reserven an den Gegenständen des Betriebsvermögens der Besteuerung durch den deutschen Fiskus entzogen seien, wenn sie sich zu einem späteren Zeitpunkt –zum Beispiel durch eine Betriebsveräußerung– tatsächlich realisierten. Das trifft indes nicht zu. Denn soweit der spätere Veräußerungsgewinn auf der Realisierung der vormals im Inland erwirtschafteten stillen Reserven beruht, handelt es sich um der inländischen Besteuerung unterliegende Einkünfte:

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a) Behält der Betriebsinhaber seinen Wohnsitz im Inland bei, ist er weiterhin unbeschränkt steuerpflichtig. Dann ergibt sich der Besteuerungstatbestand aus § 18 Abs. 3 EStG 1990. Der Veräußerungsgewinn ist in diesem Fall nicht gemäß Art. 13 Abs. 2 oder Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien von der Besteuerung in Deutschland freigestellt; denn er ist nach den im Senatsurteil in BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464 dargelegten Grundsätzen, an denen der Senat festhält, im Hinblick auf die im Inland entstandenen stillen Reserven nicht der nach der Betriebsaufgabe im Ausland belegenen festen Einrichtung des Steuerpflichtigen zuzuordnen.

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b) Entfällt die unbeschränkte Steuerpflicht, weil der Betriebsinhaber –wie im Streitfall– nicht nur den Betrieb, sondern auch seinen Wohnsitz in den ausländischen Staat verlegt, geht das Besteuerungsrecht im Hinblick auf die im Inland entstandenen stillen Reserven –entgegen der Auffassung der Beteiligten dieses Rechtsstreits– ebenfalls nicht verloren.

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aa) Der Betriebsinhaber bleibt nämlich mit dem Veräußerungsgewinn, soweit dieser auf der Realisierung der im Inland gebildeten stillen Reserven beruht, gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 beschränkt steuerpflichtig. Denn es handelt sich dabei um Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt worden ist. Auch nachträgliche Einkünfte, die auf der im Inland ausgeübten selbständigen Arbeit beruhen, unterliegen der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 (vgl. Senatsurteile in BFHE 141, 244, BStBl II 1984, 664; vom 12. Oktober 1978 I R 69/75, BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64; vom 18. Oktober 1989 I R 126/88, BFHE 159, 314, BStBl II 1990, 377; Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 49 Rz 77; Blümich/Wied, a.a.O., § 49 EStG Rz 144; zu nachträglichen gewerblichen Einkünften aus einer früheren inländischen Betriebsstätte: Senatsurteil vom 15. Juli 1964 I 415/61 U, BFHE 80, 213, BStBl III 1964, 551; BMF-Schreiben vom 27. September 1982, BStBl I 1982, 771; BMF-Schreiben –Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze– vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076, Tz. 2.9).

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Der in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung des BMF, eine beschränkte Steuerpflicht für nachträgliche Einkünfte aus selbständiger Arbeit komme nur in Betracht, wenn der Betrieb nach dem Wegzug in das Ausland dort nicht fortgeführt werde, vermag der Senat nicht zu folgen. Ein sachlicher Grund dafür, nachträgliche Einkünfte zwar bei einer Betriebsaufgabe, nicht aber bei einer Betriebsverlegung in das Ausland als im Inland beschränkt steuerpflichtiges Substrat anzuerkennen, ist nicht ersichtlich.

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bb) An der späteren Besteuerung der im Inland entstandenen stillen Reserven im Falle einer Realisierung ist die Bundesrepublik Deutschland nicht aufgrund abkommensrechtlicher Bestimmungen (hier: des DBA-Belgien) gehindert.

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aaa) Gemäß Art. 14 Abs. 1 DBA-Belgien können Einkünfte, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus einem freien Beruf bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Person für die Ausübung ihrer Tätigkeit in dem anderen Staat regelmäßig über eine feste Einrichtung verfügt (Satz 1). Verfügt sie über eine solche feste Einrichtung, so können die Einkünfte in dem anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie der Tätigkeit, die über diese feste Einrichtung ausgeübt wird, zugerechnet werden können (Satz 2). Ebenfalls auf die Zuordnung zu einer im anderen Staat belegenen festen Einrichtung stellt Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Belgien für dessen Besteuerungsrecht im Hinblick auf Gewinne aus der Veräußerung u.a. des beweglichen Betriebsvermögens eines Freiberuflers ab. Damit gelten für die Abgrenzung der Gewinne aus freiberuflicher Tätigkeit nach dem DBA-Belgien die gleichen Grundsätze –insbesondere das Betriebsstättenprinzip– wie im Bereich der Unternehmensgewinne gemäß Art. 7 DBA-Belgien, die wiederum im Kern mit jenen des Art. 7 des OECD-Musterabkommens 2008 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MA) übereinstimmen (vgl. Nr. 3 des Musterkommentars der OECD –MK– zum früheren Art. 14 OECD-MA 1992; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 14 Rz 3). Der Begriff der „festen Einrichtung“ für die freiberufliche Tätigkeit entspricht im Wesentlichen dem der „Betriebsstätte“ im Bereich der Unternehmensgewinne (vgl. Senatsurteil vom 11. April 1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143, m.w.N.; Nr. 4 MK zum früheren Art. 14 OECD-MA 1992; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., MA Art. 7 Rz 2 und 66).



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