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BFH IV R 40/07 – Keine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach versäumter Beteiligung nach § 174 Abs. 5 AO


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b) Das FG ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass die Klägerin selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht gehindert war, ihren Einspruch zurückzunehmen (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO) und dabei auch eine möglicherweise erteilte Zustimmung oder einen Antrag i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu widerrufen bzw. zurückzunehmen. Gleichfalls zutreffend hat das FG auch die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung einer Zustimmung zur streitbefangenen Änderung verneint.


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aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verbot des „venire contra factum proprium“), der in § 242 BGB nur unzulänglich zum Ausdruck kommt (Jauernig/Mansel, BGB, 13. Aufl., § 242 BGB, Rz 1), gilt auch im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990; vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174; vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764; vom 29. Januar 2009 VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O, § 4 AO Rz 125, 139). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtigen gleichermaßen u.a., dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, m.w.N.).

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bb) Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFH/NV 2002, 745) verstößt die Rücknahme des Einspruchs gemäß Â§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und kann nicht als eine illoyale Rechtsausübung angegriffen werden. Ebenso wie der Kläger den Einspruch einlegen kann, kann er ihn auch wieder zurückziehen. Das Institut von Treu und Glauben hat nicht die Funktion, verfahrensmäßige Fehler des FA aufzufangen. Die besonderen Umstände des Streitfalles rechtfertigen hiervon keine Ausnahme, selbst wenn man in dem von der Klägerin eingelegten Einspruch zugleich einen Antrag oder eine Zustimmung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sähe.

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(1) Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren darauf berufen, dass ihr Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2001 unzulässig sei, weil sie durch jenen Bescheid nicht beschwert gewesen sei. Bei Unzulässigkeit des Einspruchs schiede die Annahme einer illoyalen Rechtsausübung der Klägerin schon deshalb aus, weil dem FA eine Ãœberprüfung des angegriffenen Bescheids in der Sache versagt wäre. Wird nämlich keine Beschwer geltend gemacht, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen; ist der Einspruch unzulässig, so ist auch eine „Verböserung“ (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) unzulässig (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 350 AO Rz 30 und § 358 AO Rz 4, 9 und 24 ff.). In dieser Situation führte die Rücknahme des Einspruchs auch dann nicht zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn in dem Einspruch zugleich ein Antrag oder eine Zustimmung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO läge. Denn auf diese Weise verhindert der Steuerpflichtige lediglich eine einseitige Begünstigung des FA dergestalt, dass es trotz eines unzulässigen Einspruchs „verbösernd“ in der Sache entscheiden könnte. Insoweit genießt das FA keinen Schutz seines Vertrauens darauf, dass ihm die Möglichkeit einer inhaltlichen Änderung des Bescheids nach § 172 AO vom Steuerpflichtigen –ggf. auch im Wege einer nachträglich erteilten Zustimmung– offen gehalten wird.


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Allerdings ist zweifelhaft, ob die Klägerin durch den Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 nicht beschwert gewesen ist. Zwar ist auch bei Gewinnfeststellungsbescheiden ein Einspruch nur zulässig, wenn eine Beschwer i.S. von § 350 AO gegeben ist. Sie liegt grundsätzlich nur vor, wenn geltend gemacht wird, der Gewinn sei zu hoch oder der Verlust zu niedrig festgestellt worden (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 350 AO Rz 12; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 350 AO Rz 117). Allerdings kann die Beschwer auch in der einheitlichen Feststellung eines zu niedrigen Gewinns liegen, wenn sich diese in anderen Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1989 IX R 190/85, BFHE 159, 439, BStBl II 1990, 460; Senatsbeschluss vom 9. September 2005 IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 350 Rz 5; von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 40 Rz 218; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 40 Rz 97, jeweils m.w.N.). Die zwischen den Beteiligten zunächst streitige Frage des Bestehens einer Organschaft betrifft einen mehrere Veranlagungszeiträume umfassenden Zeitraum. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund des Prinzips der Abschnittbesteuerung für jeden Veranlagungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen –dazu zählt auch das Bestehen einer Organschaft– selbständig festzustellen sowie der Sachverhalt und die Rechtslage ohne Bindung an die frühere Beurteilung neu zu prüfen sind (vgl. Senatsurteil vom 3. September 2009 IV R 38/07, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Auch hat die Klägerin selbst keine ihr nachteiligen steuerlichen Auswirkungen vorgetragen. Allerdings hat der BFH eine Beschwer auch schon allein darin gesehen, dass eine vom Steuerpflichtigen behauptete Rechtsposition allgemein mit steuerrechtlich verbindlicher Wirkung festgestellt oder geleugnet wird (z.B. BFH-Urteile vom 14. Juni 1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318, und vom 22. November 1994 VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93, jeweils m.w.N.; vgl. auch von Beckerath in Beermann/ Gosch, FGO § 40 Rz 212 f.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 48 Rz 9). Ob die Klägerin jedenfalls nach den zuletzt genannten Maßstäben durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 beschwert gewesen ist, weil das FA darin vom Nichtbestehen einer Organschaft ausgegangen ist, kann jedoch offenbleiben, denn die angegriffene FG-Entscheidung hat schon aus nachfolgenden Gründen zutreffend eine Bindung der Klägerin nach Treu und Glauben verneint.


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